"Air" (US 2023) ist ein Sales-Tutorial

Mit “Air” hat Ben Affleck seinen neuesten Film auf die Leinwand gebracht.

Vordergründig erzählt der Film die Entstehungsgeschichte des “Air Jordan” von Nike, dem wohl bekanntesten Sportschuh der Welt. Doch, was sich hier oberflächlich als Sport(schuh)drama präsentiert, ist eigentlich ein Film über Konsum und das Erziehen der Kosument*innen.


“Ein Schuh ist ein Schuh, bis ihn jemand anzieht” ist ein Satz, der im Film genauso fällt, sich wie eine Art Mantra über die Ereignisse legt und so der wahren Ebene des Films sehr nahe kommt.


Im Film ist es der Nachwuchsbasketballspieler Michael Jordan, der den Schuh anziehen soll, doch ist diese scheinbar zentrale Figur nie ganz zu sehen.

Damian Young wurde für die Rolle verpflichtet, allerdings ist er nie ganz zu sehen, hat keine Sprechakte und vor allem, sieht man nie sein Gesicht.

Wie wichtig, so die Frage, die sich unweigerlich stellt, kann eine Figur sein, wenn man sie absichtlich ausspart.


Und gleichsam findet sich genau hier auch die Antwort.

Der “Jemand”, der den Schuh anziehen soll, mag zwar auf dem Papier, Michael Jordan sein, doch ist es nicht Michael Jordan, der den Schuh kaufen wird.

Der “Jemand” sind all die jungen Menschen, die hier und da dribbeln, jene, die selber nichts haben, denen nichts anderes übrig bleibt, als zu einem Idol aufzublicken.


Der Film läd den “Air Jordan” ideologisch auf, denn durch das Tragen des “Air Jordan” können die jungen Menschen  zumindest in ihren Träumen am Stück des Kuchens naschen.


Sie werden weder reich, noch berühmt und auch ihr Spiel verbessert sich nicht im Geringsten, aber das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein, stellt sich ein und bleibt.


Edward Bernays, der, wenn man so will, Erfinder der Public Relations, wusste schon Jahrzehnte vor Nike genau, worauf es bei einer Vermarktung ankommt.

In seinem Buch “Propaganda” (1928) schreibt er daher:

"Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft. Diejenigen, die diesen unsichtbaren Mechanismus der Gesellschaft manipulieren, bilden eine unsichtbare Regierung, die die wahre herrschende Macht unseres Landes ist.” (aus dem Englischen übersetzt)


Was hier für die Gesellschaft und Demokratie gesagt wird, können wir 1:1 auf den Markt und die Kosument*innen übertragen.


Der Kauf eines “Air Jordan” bedeutet dies nichts anderes, als dass sich die Käufer*innen beim Anblick des Schuhs von dem Gedanken an einen Schuh lösen müssen.


Anstatt etwas zu bewerben, das auf Funktionalität aufbaut (Schutz und Wärmen der Füße), wird das Verhältnis zum Schuh emotionalisiert, dem Schuh wird eine Bedeutung und eine Symbolkraft gegeben.


Im gängigen AIDA-Verkaufmodell steht das D für Desire, also das zu erzeugende Verlangen, eine Ware zu besitzen.


Wenn potentielle Käufer*innen den “Air Jordan” im Schaufenster eines Schuhgeschäfts sehen, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach bereits Schuhe besitzen und auch tragen, und wenn sie sportliche Menschen sind, werden sie auch bereits im Besitz von Sportschuhen sein.


Es besteht also kein intrinsisches Verlangen nach einem neuen Schuh, der zudem teuer ist.

Es besteht noch weniger als kein Verlangen, wenn die Käufer*innen zwar die Bezahler des Schuhs sind, nicht aber jene, die ihn am Ende tragen werden.


Ist aber der Schuh seiner primären Funktionalität enthoben und birgt stattdessen den Traum von Basketball in all seinen positiven Facetten in sich -Sport, Erfolg, Anerkennung, Ruhm, Gemeinschaft-, dann entwickelt er eine magische Anziehungskraft.


Dann sind die Konsument*innen bereit, Geld für “noch einen” Schuh auszugeben, dann springen Eltern über ihren Schatten, weil sie das Kind lieben, welches ihnen in den Wochen vor Weihnachten beinahe stündlich weinend in den Ohren liegt.


“Air” ist ein bemerkenswerter Film, aber nicht, weil er sich mit Basketball befasst, sondern weil er den Kern eines guten Verkaufsgesprächs offenlegt.

Ohne das “Desire” in AIDA, ohne den Need bei den Konsument*innen lässt sich nichts, aber auch wirklich gar nichts auf den Markt bringen, und weil auch der Film als Dokumentation wohl nicht ziehen würde, gibt es den Schuh der Schuhe als Aufhänger.

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