Diesem Meilenstein des Popcorn-Kinos schließen sich die Phasen Vier bis Sechs, die sogenannte Multiverse-Saga, an und Fans sind zurecht irritiert bis erbost über die Zeit, die hier verschwendet wurde, denn es sollte doch tatsächlich 14 Filme dauern, bis dieses Multiverse endlich schlagend wird. Und gerade in dem Moment, da THE FANTASTIC FOUR: FIRST STEPS in den Kinos erscheint, verkündet Marvel-CEO Kevin Feige ein Reboot des MCU. Dies klingt kurios und wird in Zukunft sicherlich noch für viel Gesprächsstoff sorgen.
Derweil zurück zum Multiverse, wie es bis jetzt besteht.
ENDLICH MULTIVERSE
Marvel organisiert seine Universen in sogenannten Earths (Erden). Dabei bezeichnet Earth-616 das Hauptuniversum und einfach alle Filme des MCU spielen auf bzw. um diese Earth-616.
Sogar der zweite DOCTOR STRANGE-Film und sein selbsternanntes “Multiverse of Madness” ereignet sich vorrangig auf Earth-616. Zwar bricht die Handlung kurzzeitig aus und der Film präsentiert ein paar Szenen auf Earth-838, doch ist dies kaum mehr als ein zusätzlicher Spielort. Auch das dritte Solo-Abenteuer um Tom Hollands Spider-Man, welches den Untertitel “No Way Home” trägt, öffnet zwar Portale in andere Welten, doch werden diese Welten in die Earth-616 gebracht, nicht umgekehrt.
Aus Sicht der Produktion wohnt dem eine gewisse Logik inne, denn die Reduktion auf Earth-616 erleichtert die Cross-Over-Narrative, bei denen einzelne Figuren aus unterschiedlichen Serien aufeinandertreffen.
Gleichsam können wir uns aber fragen, ob die Filmemacher*innen hinter dem MCU wissen, was ein Multiverse eigentlich ist, denn wenn alles in einer Zeitlinie spielt und auch die über den Dingen stehende TVA sich beinahe ausschließlich um diese eine Zeitlinie kümmert, haben die anderen Erden kaum bis gar kein Gewicht und sind allenfalls Schauplätze für Ereignisse, die es nicht in den Kanon geschafft haben, ohne Sinn und Mehrwert für die bestehende Narration.
Zum Glück haben wir jetzt THE FANTASTIC FOUR: FIRST STEPS.
Mit dem Quartett, welches schon einige mehr oder weniger erfolgreiche Gehversuche zu verzeichnen hat, kehrt endlich das Potential ein, welches die vergangenen Jahre über versprochen worden war.
RETRO IST CHIC
Wir befinden uns auf Earth-828 und während Reed Richards (Pedro Pascal) etwas in den Unterschränken seines Badezimmers sucht, sitzt seine Frau Susan (Vanessa Kirby) auf der Toilette und verarbeitet, dass der Schwangerschaftstest positiv ausgefallen ist.
Kurz darauf erscheinen auch Johnny Storm (Joseph Quinn) und Ben Grimm (Ebon Moss-Bachrach) sowie der liebenswerte Alleskönner-Roboter-Assistent H.E.R.B.I.E. auf der Leinwand und komplettieren die perfekte Familienidylle einer TV-Landschaft vergangener Jahrzehnte. Man gibt sich humorvoll und empathisch, geht aufeinander ein und akzeptiert die teils schrulligen Eigenarten der Menschen, die einen umgeben. Hier ein kleiner Witz, dort ein anerkennendes Wort und Umarmungen, wann immer die Notwendigkeit danach besteht.
Es ist zu schön, um wahr zu sein. Trotzdem werden wir umgehend Fans der Szenen und der Figuren. Schnell wird klar, dass wir es mit einem besonderen Setting zu tun haben, nicht weil wir Zeuge eines intimen familiären Moments sind, sondern weil der Look einem hochstilisierten Retro-Chic der 1960er Jahre entspricht. Genau genommen ist es ein Fall von Retrofuturismus, der sehr charmant die Grundlage für die gesamte Szenerie bildet. Alles, was irgendwie dreidimensional ist, hat mehr Rundungen als Ecken und besteht entweder aus glänzendem Kunststoff oder Holz mit klassischer Maserung. Die Technologie ist hochentwickelt und besteht doch aus den Teilen, die damals bekannt und verfügbar waren -eben retrofuturistisch.
Es ist unwahrscheinlich, dass sich DC und Marvel hier abgesprochen hatten, doch während in James Gunns SUPERMAN der titelgebende Superheld bereits drei Jahre bekannt und im Einsatz für die gute Sache ist, sind die Fantastic Four schon vier Jahre in aller Munde. Somit verzichtet auch dieser Film auf die klassische Chronologie der Ereignisse, bei der ein beachtlicher Teil der Laufzeit in den Beginn und die Heldenwerdung investiert würde.
Vielmehr konzentriert THE FANTASTIC FOUR: FIRST STEPS seine Ursprünge in einer schwungvollen Montage. Eine MCU-Version der ED SULLIVAN SHOW bildet den Rahmen für die Exposition rund um die vier Held*innen und wartet mit allerhand Fanservice auf. Diejenigen, die sich mit den Comics auskennen, haben hier viel zu entdecken.
Zudem sind die Fantastic Four die strahlenden Lieblinge der Nation.
Es ist genau an diesem Punkt, da die alternative Earth-828 unterfüttert wird und ihr Worldbuilding erhält.
Die Welt der Fantastic Four unterscheidet sich gravierend von der Welt der Hauptlinie. Es scheint keine Armut zu geben und die von Reed Richards gegründete Future Foundation hat enormen Einfluss auf den Fortschritt der Gesellschaft. Es gibt die bereits angesprochene fortschrittliche Technologie, basierend auf den Möglichkeiten und Designs der 1960er Jahre, überall herrscht eine sehr positive Stimmung und vor allem werden die Fantastic Four gesamtgesellschaftlich akzeptiert und international respektiert. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Welt auf diese Art präsentiert wird. Tatsächlich gab es in den 1960er Jahren einen ausgeprägten Optimismus und unter US-Präsident Johnson wurde die Agenda der “Great Society” verfolgt, die diesen Optimismus aufgriff und vergleichbare Ziele vorsah.
Der Film zeigt uns somit an zahlreichen Stellen, was möglich wäre, wenn die sozialen Zahnräder nur etwas passender ineinandergriffen.
Selbst der rebellische Harvey Elder alias Mole Man, ebenfalls ein klassischer Gegenspieler der Fantastic Four, bekommt seinen Platz in dieser toleranten Gesellschaft und es soll am Schluss sogar sein (zugegeben nicht uneigennütziges) Entgegenkommen sein, welches vielen Bewohner*innen der Stadt das Leben rettet.
POSITIV KONSERVATIV
In THE FANTASTIC FOUR: FIRST STEPS steht die Familie über allem. Da ist von besten Müttern und besten Onkeln die Rede und es gibt den neurotischen werdenden Vater, der das Haus babysicher machen möchte und natürlich weit über das Ziel hinausschießt und wir können hier die autoritäre Position und die damit einhergehende Macht der Fantastic Four durchaus hinterfragen, die sowohl finanziell als auch politisch so viel Einfluss haben, dass es ihnen schlanker Hand möglich ist, eigene Programme zu initialisieren, die sich gezielt mit kriminellen Organisationen befassen, die in der Nähe des Baxter Buildings (und zukünftigen Heims für das Baby) operieren.
Es ist ein konservativer Film, der uns hier präsentiert wird, aber er macht es auf sehr charmante Art und Weise, wodurch wir es in dieser Hinsicht mit einem wirklich schwungvollen und vergnüglichen Film zu tun haben. Mit jeder Szene wächst das Bild, welches wir von den Figuren haben. Wir verstehen ihre Eigenarten und Beweggründe.
Selbst die Figur der Susan ist konservativ angelegt. Zwar präsentiert uns Kirby eine starke und unabhängige Frau, die alle Herausforderungen mit Bravour meistert und gerade am Ende des Films eine grandiose schauspielerische Leistung hinlegt, aber mit allen, was sie macht, bestätigt und stärkt sie das althergebrachte Bild, nach dem sich alles der Familie unterzuordnen hat -Toretto approved, sozusagen.
Dies spiegelt sich auch in dem Moment wider, in dem der Film eine interessante philosophische Frage eröffnet.
Ist es in Ordnung, einen Menschen zu opfern, um einen ganzen Planeten zu retten?
Die Familie sagt nein, die Gesellschaft sagt ja und dann präsentiert eine Figur eine interessante Lösung dieses Konflikts, indem sie den Spieß einfach umdreht und die Menschen so zueinander ins Verhältnis setzt, dass eine Trennung in entbehrliche Individuen nicht länger möglich ist.
Es ist zulässig, dass sich der Film für diese Botschaft entschieden hat, und THE FANTASTIC FOUR: FIRST STEPS hätte unterm Strich auch der KISS THE COOK des MCU werden können, einer dieser perfekten Feel-Good-Filme, auf den sich einfach alle einigen können. Immerhin stehen die vier Held*innen wie kaum eine andere Combo für das Silver Age of Comic Books, jene Epoche, die hoffnungsvolle und farbenfrohe Geschichten hervorbrachte und eine beachtliche Durststrecke in der Geschichte der Comics beendete.
DAS ALTE LIED VON DER MARVEL-FORMEL
Was indes nicht beendet oder vielmehr zu Ende gedacht wurde, ist das Drehbuch, anhand dessen der Film realisiert wurde.
Für dieses sowie die zugrundeliegende Story sind sage und schreibe fünf Menschen verantwortlich und man mag an diesem Punkt unterstellen, dass sich diese fünf Menschen nicht in derselben WhatsApp-Gruppe befunden haben, denn zusätzlich zu den problematischen hierarchischen Verhältnissen sind auch so manche Situationen und Übergänge einfach hohl.
Da gibt es dann keinerlei Logik, was Entfernungen und Zeit angeht, Dinge funktionieren, weil es das Drehbuch verlangt, und ein ganzes Konzept wird simplifiziert, damit der Film erzählt werden kann.
Eingangs ist das noch nicht schlimm, doch je länger der Film voranschreitet, desto gravierender werden die Fehltritte auf nahezu allen Ebenen der Erzählung. Da entstehen Probleme, die für zusätzliche Dramatik sorgen, dann aber ohne größere Konsequenzen bleiben. Zeitspannen werden nicht als solche wahrgenommen, weil der Film in seiner Verdichtung zu wenig kommuniziert und schließlich ist auch die Physik eher zweitrangig.
Insgesamt konzentriert sich der Film hier wieder einmal zu sehr auf die altbekannte Marvel-Formel, bei der am Schluss immer auch ein Endkampf stehen muss.
Die schönsten Konflikte werden kleingehalten oder einfach beiseite geschoben, wenn das CGI-Department anklopft, um die neuen Effekte zu präsentieren.
Das war schon bei SHANG-CHI AND THE LEGEND OF THE TEN RINGS so und es ist hier nicht anders.
Auf die Frage, warum das MCU nicht einfach eine Nummer kürzer treten und statt der digitalen Materialschlacht eine in sich geschlossene, dafür aber umso bessere Geschichte erzählen kann, werden wir wohl nie eine Antwort erhalten.
FAZIT
THE FANTASTIC FOUR: FIRST STEPS ist ein Film, mit dem wir uns durchaus anfreunden können. Gerade der Umstand, dass er ausschließlich auf Earth-828 stattfindet, ist herrlich erfrischen und erzeugt enorm viel Vorfreude, wenn wir an die Mid-Credit-Scene aus THUNDERBOLTS* denken. Leider geht während des Films auch so einiges schief, was ziemlich irritiert und in Teilen in einer nur allzu bemühten Dramatik mündet.
Auch wird das Narrativ der Familie in Anbetracht der sonstigen Verhältnisse zu sehr idealisiert. Wir können nur hoffen, dass gerade die politische Komponente rund um das Land Latveria, die für AVENGERS: DOOMSDAY von enormer Bedeutung sein sollte, entsprechend behandelt und in das kommende Abenteuer eingewoben wird, und vielleicht spielt das Hinterfragen von Hierarchien dann auch eine entsprechende Rolle.
67/100
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