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Dein Weg (US 2010)

Mit Dein Weg (US 2010) ist es so eine Sache.

Auf der einen Seite ist die Handlung unglaublich vorhersehbar, auf der anderen Seite dennoch sehr berührend. Für aufmerksame Zuschauende ist es ein Leichtes herauszufinden, an welcher Stelle der Handlung sich die Figuren gerade befinden und was als nächstes passieren wird. Keine Aktion wirkt überraschend oder außergewöhnlich.

Der Anfang wirkt sogar sehr konstruiert und in Form gepresst.

Der Hauptfigur Tom wird gesagt, dass dessen Sohn Daniel angerufen habe. Als Nebensächlichkeit betrachtet schiebt Tom einen Rückruf auf die lange Bank. Während eines Golfspiels erfolgt ein weiterer Anruf. Dieses Mal geht Tom ran, doch statt Daniel meldet sich jemand anderes. Überraschung, der Sohn ist verstorben.

Der Beginn, ja die ganze Erzählung gründet auf einem Szenario, welches schon unzählige Male gezeigt worden ist.

Dass es sich bei dem Schauspieler hinter der Hauptfigur um Martin Sheen handelt und bei dem verstorbenen Sohn um Emilio Estevez, der gleichsam auch der Regisseur des Films ist, gleicht beinahe einer Farce, so als wollten beide ihre Beziehung zueinander untersuchen.

Doch, Dein Weg ist dennoch ein Film, der es wert ist, gesehen und besprochen zu werden, und dieser Wert, das, was den Film besonders macht, setzt kurz nach der Einäscherung des Sohnes ein.

Bei aller Stringenz und Vorhersehbarkeit, weigert sich der Film, das Offensichtliche aktiv zu bestätigen. Stattdessen begleitet er beinahe wortkarg Toms Reise. Nur im äußersten Notfall verharrt die Handlung im Dialog und meistens ist es nicht Tom, der spricht.

Dies macht es schwer, herauszufinden, an welcher Stelle Tom gemäß einer klassischen Heldenreise beginnt, sich zu ändern. In einem klassischen Narrativ dieser Art gibt es stets ein paar eindeutige Stationen der Wandlung, an denen dem Publikum klar kommuniziert wird, dass die Hauptfigur einen Erkenntnisprozess durchlebt. Die Figur wird dabei von eine Art Lehrer begleitet –der Geist, der zeigt, wie die eigene Gier Auswirkungen auf den kleinen Timmy hat (vgl. Dickens, Eine Weihnachtsgeschichte), der Enkelsohn, der einen mit den Sorgen der Menschen konfrontiert, für die man verantwortlich ist (vgl. Der kleine Lord).

Um aber als Lehrer wirken zu können, muss jener Charakter besser sein als die Hauptfigur.


Auf seiner Reise nach Santiago de Compostela begegnet Tom zahlreichen Menschen. Mit dem Holländer Joost, der Kanadierin Sarah und dem Iren Jack knüpft Tom näheren Kontakt, doch keiner von jenen ist besser oder schlechter als Tom und in der Lage, als LehrerIn zu fungieren.

Joost will abnehmen, isst und trinkt aber unentwegt, Sarah will mit dem Rauchen aufhören, nimmt dies allerdings nur als Vorwand, um von ihren eigentlichen Problemen abzulenken, und raucht wie ein Schlot und Jack versucht eine Schreibblockade zu überwinden, sucht aber stattdessen nach Möglichkeiten, ohne kreative Eigenleistung an Material zu kommen.

Dies sieht auch Tom so und spricht die Makel der anderen offen an. Immer wieder kommt es zum Streit und Tom wird zornig.

Da Tom ansonsten kaum spricht und es auch keine inneren Monologe oder Träume gibt, fällt es uns schwer zu erkennen, wie es Tom ergeht.
Einige wenige Male erscheint ihm der Geist seines Sohnes wie eine Halluzination. Kurz mag man glauben, Tom beginne zu verzweifeln und mit dem Sohn, der nicht real da ist, zu sprechen. Doch Tom spricht nicht und das ist auch gut. Wie bereits erwähnt, bestätigt der Film nie das offen zu erwartende. Stattdessen lächelt ihn der Geist Daniels leise an, so als wisse er, der er ohnehin nur in Toms Kopf existiert, was Tom denkt.

Tom ist durchweg wütend und ich-bezogen. Er selbst steht im Zentrum seiner persönlichen Welt und der Sohn, der eine Enttäuschung für den Vater war, spielt nur am Rande eine Rolle. Doch ist Tom, im Gegensatz zu anderen Film-Vätern, die im Konflikt mit ihren Kindern stehen, keine Figur, der wir keine Sympathie entgegenbringen. Im Gegenteil. Tom ist zutiefst menschlich und deshalb könnte es auch sein, dass Daniel, wenn er seinen Vater anlächelt, diesem sogar verzeiht.

Die Stärken des Films liegen in der Kamera und im Schauspiel von Sheen und Estevez.

Dein Weg ist stark in den Phasen der Trauer verhaftet und so sind es die Mimiken, mit der beide Schauspieler die Ereignisse und die dahinterstehenden Motive und Emotionen kommentieren, die den Film vorantreiben und das Publikum bei der Stange halten. Mit kleinsten Bewegungen im Gesicht schaffen sie es, weit mehr zu erzählen als es anderen in überlangen Monologen möglich wäre.

Die Kamera hingegen besticht durch ihre unberechenbare Hilflosigkeit. Einerseits folgt sie den Konventionen, wirkt mal unruhig und mal statisch. Andererseits scheint auch sie überfordert mit der Spontanität Toms zu sein, der auf seiner Reise wie aus dem Nichts vorprescht und Meter um Meter zurücklegt, dann wieder erschöpft Ruhepausen einlegen muss, hier in geselliger Runde verweilt, dort plötzlich aufspringt und die Runde verlässt. Da Tom kaum spricht, müssen sich die Figuren Joost, Sarah und Jack untereinander austauschen, was auch im Film gezeigt wird. Die Kamera nimmt somit eigentlich eine auktoriale Erzählposition ein. Doch entgegen der Charakteristik dieser überhöhten Stellung schafft sie es nicht, selbige ganz auszufüllen, da sie immer von Toms unnahbarem Wesen und seinen Aktionen aus ihrer Balance gebracht wird.


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