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I do mind. I'm hungry.

Im 1986er Spielfilm Top Gun (US, R: Tony Scott) verfolgen wir die Figur Maverick, die an einer Spezialausbildung für Kampfflieger der U.S. Navy teilnimmt. Dabei lernen wir schon bald Charlie kennen, die Maverick als Love Interest dienen soll. Es entspricht den gängigen Konventionen nicht zuletzt eines solchen Films, dass sich die Liebesbeziehung zeitig erfüllt, damit sich der Protagonist schon bald wieder auf sein eigentliches Ziel konzentrieren kann.

Obwohl Top Gun ein sogenanntes guitly pleasure von mir ist und ich mich gerade über die strukturelle Inszenierung des Films amüsieren kann, schließlich ist alles in Film herrlich vorhersehbar, komme ich nicht umhin, gerade der Liebesbeziehung mit Argwohn zu begegnen. Nicht, weil die Welt in Top Gun bei aller Homoerotik klassisch männlich geprägt ist und die weibliche Figur der Charlie, trotz ihrer wissenschaftlichen Qualifikation, schlussendlich auf ihre Eigenschaften sexueller Weiblichkeit reduziert wird, sondern weil die sexuelle Erfüllung der Liebesbeziehung künstlich in die Länge gezogen wird, indem das Treffen (Top Gun, 0h42'-0h48') und die Liebesnacht (Top Gun, 0h54'-55'), letztere wunderbar ausgeleuchtet in nächtlichem blau/grau, getrennt voneinander stattfinden, wodurch die Liebesnacht künstlich überhöht wird.

Gerade im Vergleich mit ihrem komödiantischen Pendant in Hot Shot! (US 1991, R: Jim Abrahams) zeigt sich, dass die Erfüllung schon in der Treffen-Szene angelegt war und hätte passieren können, weshalb ich mich frage, ob Hot Shots! in dieser Hinsicht nicht der bessere, weil ehrlichere Film ist. In der Treffen-Szene in Top Gun verspätet sich Maverick, der mit Charlie zum Essen verabredet ist. Mittels einer Parallelmontage zeigt der Film gleichermaßen Mavericks Versuch, sein Fehlverhalten durch eine rasante Motorradfahrt auszugleichen, und Charlie, die auf Maverick wartet. Dominant untermalt von "Take my breath away" (Berlin, Take my breath away, 1986, Audio-CD, Top Gun. Original Motion Picture Soundtrack, Columbia Records: CDCBS 70296, 1986), welches auf dem offiziellen Soundtrack als “Love Theme” bezeichnet wird, sehen wir Charlie, wie sie nascht. Kurioser Weise dringen dabei, trotz der Lautstärke der Musik, Kaugeräusche an unsere Ohren und machen uns auch auditiv bewusst, dass sie etwas isst. Schließlich erscheint Maverick (Top Gun, 0h43') und die eigentliche Handlung kann ihren Lauf nehmen.

In der Szene lassen sich diverse sexuelle Anspielungen finden. Charlie, die das Essen mit Maverick nicht abwarten kann und bereits im Vorfeld etwas isst, so als könnte sie nicht das Essen nicht erwarten, sondern ihn, und Maverick, der nach einem kläglichen Versuch der Entschuldigung als erstes fragt, ob er eine Dusche nehmen und damit entkleidet in einen sehr privaten Bereich in Charlies Haus eindringen dürfe, sind da nur zwei Beispiele. 


Dabei lehnt Charlie Mavericks Bitte nicht deswegen ab, sondern begründet ihre Entscheidung damit, hungrig zu sein.


    Maverick: If you don’t mind, I’ll just take a quick shower while you’re finishing up here.
    Charlie: I do mind. I’m hungry.
(Top Gun, 0h44')

Charlies Naschen erfährt im Anschluss an die gemeinsame Mahlzeit eine Reprise und Maverick wiederholt seinen Wunsch am Ende der Szene, wenngleich er dieses Mal seine eigene Dusche in Betracht zieht. An dieser Stelle ist auch wieder das Intro von "Take my breath away" zu hören, welches zwischenzeitlich durch andere Musik ersetzt worden war. Interessant ist auch, mit welcher Begründung Charlie Maverick verbietet, die Dusche zu benutzen. Die Komödie Hot Shots! aus dem Jahr 1991 parodiert innerhalb ihrer 84 Minuten Lauflänge eine Vielzahl von Filmen und nimmt die Handlung von Top Gun als Grundlage für die Erzählung. Dementsprechend gibt es auch in diesem Fall eine männliche Hauptfigur, die hier Topper Harley heißt, und eine weibliche Love Interest namens Ramada.
Wie bereits erwähnt, kombiniert der Film zwei Szenen aus Top Gun. Doch, anstelle das Vorbild aus den 1980er Jahren schlicht zu parodieren, setzt Hot Shots! einen anderen Fokus und macht aus der Parodie eine Interpretation des Originals mit offener Kritik an selbigem. Fassen wir den Verlauf der Szene (Hot Shots!, 0h35'-0h37') kurz zusammen. Ramada kommt geduscht in den Raum*, wo sie von Topper erwartet wird. Die beiden Liebenden machen es sich vor einem Kühlschrank bequem und geben sich einem Vorspiel hin. In dem Moment, da beide Figuren zum eigentlichen Liebesakt übergehen, wird die Kamera abblenden und alles Folgende unserer Fantasie überlassen. Gezeigt wird allein das Vorspiel.
In Top Gun beherrscht in der Treffen-Szene das Haptische, das Orale, die Nahrungsaufnahme mit sexueller Konnotation, das Bild visuell, doch anstelle sich den visuellen Signalen hinzugeben, lenken die Figuren auf auditiver Ebene davon ab und verlieren sich im Sinnieren über Probleme und Vergangenheitsbewältigung. In Hot Shots!, in dem das Verhältnis von Bild und Ton, wie wir es aus Top Gun kennen, pervertiert wird, wird intensiv dargestellt, was Laura U. Marks als „haptic visuality“ (Marks, S.2) bezeichnet und Sigmund Freud als das „orale oder, wenn wir wollen, kannibalische“ (Freud, S.32). Gleichsam fährt der Film das verbale Sprechen auf ein Minimum herunter, wodurch es in der Folge einzig aus dem erregten Stöhnen Ramadas besteht. „Haptic visuality“ verhandelt die Möglichkeit des Auges, als tastendes Organ zu fungieren. (Marks, S.2)

Wenn also Charlie nach dem Essen weiterhin nascht, vermag Maverick sie dabei zu beobachten. Vor allem aber vermag er ihren Fingern auf dem Weg zu ihren Lippen und ihrem Mund zu folgen. Marks schreibt außerdem, dass haptisches Erfahren eine „combination of tactile, kinesthetic, and proprioceptive functions“ (Marks, S.2) ist, die es ermöglicht, „[to] experience touch both on the surface of and inside our bodies.“ (Marks, S.2)


Dies lässt uns vermuten, dass Charlie sich ihrer Bewegungen wohl bewusst ist und Maverick subtil die Möglichkeit gibt, Zeichen zu erkennen und zu deuten.

Während also in Hot Shots! Ramada die Berührungen durch die Früchte erfährt, diese schließlich durch den Vorgang des Essens in sich eindringen lässt und sich so ihrer eigenen Körperlichkeit bewusst wird, tastet Topper Ramada gleich zweifach ab. Zum Einen spürt er ihren Körper durch die Früchte, die als eine Verlängerung seines Arms fungieren, zum Anderen schaut er sie dabei an und folgt ihren körperlichen Reaktionen. Dies macht Maverick nicht. Dabei müsste es ihm eigentlich nach Art der Redewendung ins Auge springen. In seinen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie schreibt Freud, der die berühmte orale Phase in der Kindheit verortet (Freud, S.32), dass sich das Lutschen „durch das ganze Leben erhalten kann“ (Freud, S. 26) und er betrachtet es bisweilen als „von der Nahrungsaufnahme ausgeschlossen“ (Freud, S. 26). Damit kann nicht nur Ramadas Verhalten explizit als erotisch gelesen werden, sondern Charlies Verhalten implizit ebenso als solches. Wieder bezogen auf Marks kann über Erotik allgemein gesagt werden:
„…erotic is the ability to move between control and relinquishing, between being giver and receiver. It’s the ability to have your sense of self, your self-control, taken away and restored […] What is erotic is being able to become an object with and for the world…” (Marks, S. xvi).

Erotik ist somit ein Wechselspiel aus Geben und Nehmen und schafft ein besonderes Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, wobei das Subjekt gibt und das Objekt nimmt. 

Kombinieren wir nun Marks’ Ansichten über Erotik, Subjekt und Objekt mit Freuds Theorie über das Orale und fügen hinzu, dass nach Freud „das Eindringen in eine die Genitalzone erregende Körperhöhle“ (Freud, S. 41) etwas ist, auf das „sich von psychischer Seite her die Objektfindung [vollzieht], für welche von der frühesten Kindheit an vorgearbeitet worden ist“ (Freud, S. 41), können wir ohne Zweifel zu dem Schluss kommen, dass entweder Maverick ein Trottel ist oder die Filmschaffenden hinter Top Gun keine Ahnung von ihren eigenen Figuren haben. Hot Shots! stellt dabei genau diese Frage, während die Verführung Ramadas durch Lebensmittel immer kurioser wird. So folgen, bevor Topper Ramadas Körper vollends objektiviert und als Bratfläche für ein Spiegelei und Speck gebraucht, in der Wahl der Lebensmittel auf Wein- und Erdbeere eine Pizza und eine Olive. Topper nimmt die Pizza (Hot Shots!, 0h36'), die unsachgemäß groß und viel zu fettig ist für eine Verführung, und rollt sie zusammen wie eine Zigarette. Den überstehenden Rand dieses phallusartigen Gegenstands leckt er an. Hierin können wir ein Gegenstück zu Charlies Handhaltung und –führung beim Naschen erkennen, da auch Topper Nahrung sanft am Mund vorbeiführt. Zudem kommt es zu einer Übertragung von Speichel. Nicht direkt diesen, wohl aber die Lippenschleimhaut weiß auch Freud zu benennen, wenn er von der „Verwendung des Mundes als Sexualorgan“ (Freud, S. 15) schreibt. Beinahe animalisch nimmt die Frau die Pizza an und beißt hinein.

Topper, wortlos kommunizierend wie Charlie, sendet eindeutige (wenngleich komödiantisch überspitzte) Signale, welche von Ramada verstanden werden. An dieser Stelle wird auch das Wechselspiel von Geben und Nehmen deutlich. Bislang war Ramada die Empfängerin gewesen, doch in dem Moment, als sie eine gefüllte Olive zwischen ihren Zähnen hält (Hot Shots!, 0h36'), wird sie zum Sender. Sie saugt die Füllung ein, ein direkter Kommentar auf das Lecken Toppers, frei nach dem Motto: Every breath you take. 

 

 * Dies allein bildet einen wunderbaren Kommentar auf Top Gun. Wenn die Figuren nicht darauf eingehen und das Duschen nicht realisiert wird, braucht es nicht erwähnt zu werden. In Hot Shots! sprechen die Figuren nicht darüber. Stattdessen geschieht es einfach im Off und wir, das Publikum, werden mit dem Resultat konfrontiert.




Literatur:


  • Freud, Sigmund, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Vergangenheitsverlag 2011 (Orign. Leipzig 1922) [Three essays of the theory of sexuality, Leipzig 1922, reprinted at the Vergangenheitsverlag 2011]
  • Marks, Laura U., touch. Sensuous Theory and Multisensory Media, Minneapolis: University of Minnesota Press 102002








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