Im Folgenden möchte ich die paradoxe Idee von Schrödinger zum Anlass nehmen, die räumlichen bzw. örtlichen Gegebenheiten im Film Airport (US 1970, R: George Seaton) anhand der Ausführungen Lars Wilhelmers zur „sozial- und kulturwissenschaftlichen Raumtheorie“ zu erläutern. Dabei möchte ich nicht nur darauf eingehen, auf welche Arten Wilhelmer Raum/Ort nutzt, sondern dass diese Nutzung einen besonderen Einfluss auf die Zuschauenden hat. Am Ende soll gezeigt werden, dass die eigentliche Katastrophe bzw. das Unglück, welches dazu führt, dass das Flugzeug abzustürzen droht, nicht der Höhepunkt der Atmosphäre des Films bildet, sondern die Suspense-Momente im Vorfeld, die die Zuschauenden stets bangen lassen.
Der Katastrophenfilm Airport von George Seaton erzählt von einem Linienflug, auf dem ein Unglück geschieht. Dieses Unglück besteht darin, dass sich ein Passagier auf der Flugzeugtoilette mittels einer Bombe, die er in einem Aktenkoffer versteckt hat, selbst tötet. Bei einer Länge von 136 Minuten ist es erwähnenswert, dass sich die Explosion erst nach 103 Minuten ereignet.
Die ganze Filmzeit davor befasst sich der Regisseur damit, Figuren vorzustellen,
kleinere und größere Geschichten zu erzählen und den beiden Plätzen, an denen die Handlung
größtenteils stattfindet, Raum zu verschaffen.
Wenn ich die Begriffe Ort und Raum gegenüberstelle, dann beziehe ich mich damit auf die
Ausführungen Lars Wilhelmers, der, (u.a.) Martina Löw analysierend, Raum für die Anwendung
auf Literatur greifbar zu machen versucht. Als Grundlage nimmt Wilhelmer die von Löw
angestrebte Herangehensweise über einen „relationalen Raumbegriff“ (Wilhelmer, S. 20) und die damit einhergehende „Wechselwirkung von Handeln und Strukturen“ (Wilhelmer, S. 26).
Ich möchte nun einige Aspekte aus dem Text von Wilhelmer heranziehen und auf Airport anwenden. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang die Zeit bis zu dem Unglück und die Wirkung auf das Publikum, welches der Handlung dank der auktorialen Erzählweise unmittelbar folgen kann und somit ganz nah am Geschehen ist.
Wilhelmer schreibt, dass die Beziehung zwischen Ort und Raum auf drei Arten Besonderheiten
aufweisen kann.
„Erstens können verschiedene Räume an ein und demselben Ort entstehen.“ (Wilhelmer, S. 31)
„Zweitens kann sich ein Raum über verschiedene Orte erstrecken.“ (Wilhelmer, S. 31)
„Drittens können sich Räume und Orte ineinander verschachteln.“ (Wilhelmer, S. 32)
Im Film kommt es zu einer Kombination aus allen diesen Aspekten.
Um die Atmosphäre eindringlich zu gestalten und den Zuschauenden so die Möglichkeit zu geben,
sich mit den Figuren auf der Leinwand zu identifizieren, seziert Seaton den Ort Flughafen und
zerlegt ihn in seine Bestandteile. So ist die Figur Bakersfield meist in einem Büro im Hauptgebäude
zu sehen, von dem aus sie vieles koordiniert (Airport, bspw. 0h32'), während gleichzeitig Pilot Demerest und
Stewardess Meighen im Flugzeug am Rollfeld ihre Beziehung besprechen (Airport, 0h49'). Die Komplexität der
räumlichen Struktur wird bereits hier deutlich. Bakersfields Büro weist neben einem Schreibtisch
auch eine gemütlich, beinah salonhafte Sofa-Ecke auf, die im direkten Kontrast steht zur
operativen Schaltzentrale mit mehreren Telefonen und eine vermeintliche Möglichkeit zur
Privatspähre zu bieten scheint. Demerest und Meighen hingegen nutzen im Vorfeld des Fluges
die Transportmaschine für rein private Zwecke und auch im weiteren Verlauf des Films kommt es
zu Momenten, in denen beide ihre berufliche Anstellung außer Acht lassen, um den öffentlichen
Raum zu einem privaten Raum zu machen.
Durch die Parallelmontage kann ferner der Plot ausgebaut und so die Brücke zur Handlung
geschlagen werden. Während Herr Guerrero letzte Vorbereitungen trifft und sich auf seinen
finalen Flug begibt, zeigt der Regisseur auch Frau Guerrero, die von dem Vorhaben ihres Mannes
nicht weiß und sich in großer Sorge um ihn befindet. Seaton verbindet die beiden Orte der Frau
und des Mannes und zeigt so die Tragödie dieser Ehe.
Der dritte Aspekt, den Wilhelmer anspricht, liegt in der Arbeitsweise eines Flughafens.
Am deutlichsten wird dies am Gate. Der Flieger steht bereit und das sogenannte Boarding hat
begonnen.
In diesem Zeitraum ist die Schleuse zwischen Flughafen und Flugzeug durchlässig. Für
Herrn Guerrero, der ein gültiges Flugticket besitzt, ist die Schleuse somit passierbar (Airport, 1h00'). In dem
Moment jedoch, in dem das Boarding abgeschlossen und das Flugzeug im Begriff ist, den Flug zu
beginnen, wird das Gate zu einer unüberbrückbaren Hürde. Nur um Minuten verspätet sich Frau
Guerrero und kann so diese Hürde nicht mehr nehmen. Allein durch die Panorama-Fenster kann
sie dem Flieger hinterherschauen (Airport, 1h06'-08'). Das Gate ist in diesem Fall Passage, Wartehalle und
Endstation in einem.
Diese detaillierten Beschreibungen der Figuren und die komplexen Verschachtelungen von Raum
und Ort einerseits, aber auch Ort und Handlung andererseits führen dazu, dass die Zuschauenden
unmittelbar am Geschehen sind. Wilhelmer bezeichnet Transit-Orte dieser Art als „paradox“ (Wilhelmer, S. 37), da sie zwar dafür da sind, um von einem Punkt zu einem anderen
Punkt zu gelangen, aber gleichsam auch Orte des Verweilens darstellen.
Als PassagierIn in einem Flugzeug möchte der Mensch an ein geografisch weit entferntes Ziel
gelangen. Während des Flugs ist er jedoch stationär an die Maschine gebunden, gleichsam aber
auch bereits am Ziel, da eine Reise ohne das Flugzeug nicht möglich wäre.
Sich auf Michel de Certeau berufend, stellt Wilhelmer zudem Ort und Nicht-Ort einander
gegenüber (Wilhelmer, S. 40ff). De Certeau sieht in Nicht-Orten solche Plätze, die nicht um ihrer Funktion Willen
identifiziert werden. Als Beispiel wird das Theater genannt. Als Institution für Aufführungen ist es
ein Ort, als Punkt einer Wegbeschreibung ein Nicht-Ort.
Durch die Erzählweise wird in Airport das Flugzeug schon vor der Explosion gleichzeitig zu einem
Transportmittel und einem potentiellen Grab. Für die Zuschauenden ist es zudem gleichzeitig der
Ort, an dem sich viele Geschichten ereignen, und ein Ort, an dem dies nicht mehr von Bedeutung
ist, da durch die drohende Katastrophe diese Geschichten abrupt enden können.
Und genau an dieser Stelle können wir zurückkommen zu den Überlegungen Erwin Schrödingers.
Ähnlich wie im Falle der Katze, die gleichsam tot und lebendig ist, sind auch die Figuren im Film
gleichsam gefährdet und in Sicherheit. Durch die Vermischung der auktorialen Erzählweise, die
die Zuschauenden mit den nötigen Informationen versorgt, und mit der vielseitigen Darstellung
des Flughafens und des Flugzeugs, wird dem Publikum ein Szenario präsentiert, welches sich in
der Schwebe befindet. Herr Guerrero, der wiederkehrend mit Problemsituationen
(Geldknappheit bei Versicherungsabschluss, Check-In, etc.) konfrontiert wird, könnte jedes Mal
aufgehalten werden, wenn die entsprechenden Instanzen an den entsprechenden Punkten im
Raum anders reagierten.
Somit ist jede Problemsituation wie der Gedanke an das instabile Atom,
dessen Kern in einem berechneten Zeitraum zerfallen könnte oder eben auch nicht.
Literatur:
Airport, US 1970 R: George Seaton
Wilhelmer, Lars, „Sozial- und kulturwissenschaftliche Raumtheorie“ in Trans-Orte in der Literatur:
Eisenbahn – Hotel – Hafen – Flughafen: Bielefeld Transcript 2015, S. 19-58
Wineland, David J., „Überlagerungen, Verschränkungen und Schrödingers Katze (Nobel-Aufsatz)“ in
Angewandte Chemie: Weinheim Wiley-VCH 2013
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