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The Exorcist (US 1973)

Der Exorzist (US 1973) – Einerseits schafft es dieser Film immer wieder bis an die Spitze der Rankings über die besten Horrorfilme aller Zeiten, andererseits fordert der Film heutige Sehgewohnheiten heraus und kann daher auf ein eher unbedarftes Publikum langweilig wirken. Das Pacing ist anders als in heutigen Filmen, der fehlende Einsatz von Musik kündigt nicht plakativ jeden Schockmoment an und dann ist da noch der gefühlsduselige Side Plot um einen Priester, der in einer Glaubenskrise steckt.

All dies sind verständliche Gründe, durch die das Publikum den Film als langweilig oder sperrig empfinden kann.

Anders herum haben wir es bei Der Exorzist mit einer Erzählung zu tun, bei der das Publikum eben nicht an die Hand genommen und behutsam durch Story und Plot geführt wird. Der Film verzichtet bewusst auf eine Exposition im klassischen Sinne.
Erst nach und nach gibt er seine Geheimnisse preis und wechselt auch schon einmal die Perspektive, um zu zeigen, dass das Böse, welches die Welt heimsucht, nicht allein auf ein junges Mädchen beschränkt ist. 

Wie ist es eigentlich, wenn die Welt, wie wir sie kennen, aus den Fugen gerät? Sind es immer nur einzelne Personen oder Aspekte, die bedroht werden, oder besteht vielleicht ein größerer Zusammenhang? Wenn ja, was haben eine Kirche, eine Schauspielerin, deren Tochter und ein Priester gemeinsam?

Eine Erklärung bleibt uns der Film schuldig, so, wie auch das wahre Leben nicht alles begründen kann.
„Show, don’t tell“ lautet die Devise und forciert bei aller Metaphysik ein Höchstmaß an Realismus.

Der Exorzist schockiert nicht, indem er einen Dämon in die Welt entlässt. Nur zweimal sehen wir das Monster und dann auch nur in Form einer Steinstatue –und Steine sind nicht gruselig. Gruselig, richtiggehend grauenerregend, ist hingegen die Dekonstruktion des menschlichen Körpers.

Ophiocordyceps unilateralis ist eine parasitäre Pilzart, die sich Ameisen bemächtigt. Sie gerät in den Körper des unschuldigen Insekts und übernimmt nach und nach die Kontrolle über dessen Gliedmaßen und Willen.

Der Parasit zwingt das Insekt dann eine Pflanze hinauf bis zu einem Punkt, der ihm gefällig scheint. Dort lässt er das Tier verharren und beginnt damit, es auszuhöhlen und aus dem Tier herauszuwachsen, bis es aussieht wie ein Ast.

Ich muss gestehen, nicht zu wissen, ob William Friedkin, dem Regisseur hinter Der Exorzist, oder William Peter Blatty, dem Autoren des Drehbuchs sowie der Romanvorlage, Kenntnis von diesem Parasiten hatten, doch gleicht die Inszenierung der Besessenheit des Mädchens Reagan (Linda Blair) im Film auf erschreckende Weise dem Schicksal der armen Ameise.

Anfänglich verändert sich nur ihre Sprache. Die dadurch hervorgerufene Irritation der Menschen in ihrer Umgebung erscheint wesentlich verstörender als die Wortwahl.
Auch das Urinieren auf einen Teppich wird, abgesehen von der Mutter (Ellen Burstyn), eher argwöhnisch als mit Sorge begutachtet.
Erst später zeigen sich Narben auf dem Körper des Mädchens und entstellen die körperliche Erscheinung.

Die Veränderung geschieht von innen nach außen und ist so für die Ignoranz der alltäglichen Umgebung unsichtbar.

Dann aber werden die Phänomene drastischer, der Körper verkommt zu einer ohnmächtigen Hülle.

Und dann sind da noch der ikonische Spinnengang, der uns an die seltsame Körperlichkeit der Figuren in einem Gemälde von Bosch erinnert, und die Drehung des Kopfes einmal um die eigene Achse.

Reagan selbst kann nichts für ihren Zustand und ist allen Einflüssen wehrlos ausgeliefert, weshalb wir uns die Frage stellen können, ob der Dämon auch ein Versuch des Mädchens sein kann, Widerstand zu leisten?
Ist dieser Teufel, der Marienstatuen entweiht und den Priester an einen geliebten Menschen erinnert, vielleicht gar nicht das Böse per se?

In Der Exorzist ist die Begegnung mit dem besessenen Mädchen auch eine Konfrontation mit den eigenen inneren Dämonen, und so hält uns Friedkin eine Spiegel vor, zeigt uns die Künstlichkeit und Kälte der Realität, die uns umgibt und die wir selbst geschaffen haben, das Übel der Verdrängung und der Ablenkungsmanöver, mit denen wir uns selbst betrügen.

Reagan, so erfahren wir beiläufig, lebt nur bei der Mutter, der Vater will nichts mit ihr zu tun haben.
Die Mutter, eine Schauspielerin, ist oft am Set, eine junge Frau, eine Assistentin, scheint sich um die Tochter zu kümmern.

Lassen wir die Besessenheit einmal beiseite, sehen wir, dass Reagan eigentlich ein einsames Kind ist, welches vielleicht einfach nur Aufmerksamkeit wünscht.

Die Zeichnungen, die überall im Haus herumliegen, dürften von ihr stammen, doch ist sie zwölf Jahre alt und die Bilder wirken arg infantil. Könnte es also sein, dass Reagan nicht nur einsam ist, sondern in ihrer Entwicklung hinterherhinkt?

Es ist auch kein allzu großer Sprung hin zu sexuellem Missbrauch, betrachten wir die Figur des Regisseurs Burke Dennings (Jack MacGowran) und dessen Ableben näher.
Alkoholisiert ist dieser nicht zu ertragen und beleidigt und provoziert andere Menschen auf schreckliche Art.

Eines Tages wird er am Fuß der Treppe neben dem Haus tot aufgefunden.
Sein Kopf ist um 180° verdreht.
Er muss die Treppe heruntergestürzt sein und dieser Sturz nahm vielleicht seinen Anfang in Regans Zimmer.

Die Mutter streitet allerdings natürlich ab, Burke könnte in Reagans Zimmer gewesen sein, doch wie ist er dann umgekommen, wenn es doch als unwahrscheinlich gilt, dass sein Kopf durch den Sturz derart verdreht wurde?

The Exorcist ist ein Film des New Hollywood und wie alle Filme dieser Ära (und wie alle guten Filme allgemein), erzählt auch dieser eine Geschichte in einer Geschichte.

Noch heute sind innerfamiliäre Probleme Tabuthemen. Missbrauch und Vernachlässigung werden sprichwörtlich unter zahlreiche Teppiche gekehrt und das eigene Vorankommen, die Karriere, wird vorne angestellt, nicht selten unter dem Vorwand, den Kindern etwas bieten zu wollen.

Die Polizei ist dagegen machtlos und vielleicht schaut auch sie lieber weg als sich mit den Konflikten ernsthaft auseinanderzusetzen.
Auf jeden Fall ist der Lt. Kinderman (Lee J. Cobb) kaum mehr als eine Witzfigur, die lieber damit prahlt, Freikarten für die Kinos der Stadt zu haben, als intensiv Mordfälle zu lösen.

Friedkin hat mit The Exorcist eine intensive Erzählung inszeniert, die den Schrecken einer gutbürgerlichen Familientragödie in das Gewand eines Horrorfilms kleidet.

Der eingangs erwähnte Parasit höhlt die Ameise aus und zerstört sie Stück für Stück, und so wirkt der Film nicht über die Schockmomente, sondern über die Hoffnungslosigkeit und den Strudel, in den die Figuren geraten und aus welchem sie sich nicht befreien können.


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