Dabei können Zeitschleifen sowohl als reine handlungstreibende Kraft eingesetzt werden als auch als psychologischer Überbau, der zwar Handlung generiert, sich aber auf die Figur konzentriert, die in dieser Zeitschleife gefangen ist.
Handlungstreibende Zeitschleifen sind in diesem Zusammenhang Formeln, die wie Algorithmen allein auf äußerer Einflüsse reagieren.
Figurzentrierte Zeitschleifen hingegen treten in Dialoge mit der Figur und weiterer Folge mit dem Publikum, das die Geschehnisse auf dem Bildschirm oder der Leinwand rezipiert.
Während der erste Typ also nach dem Schema einer mathematischen-informatischen Wenn-Dann-Sonst-Formel analysiert, nimmt sich der zweite Typ heraus, den Prozess zu bewerten. Hier gibt es kein eindeutiges Richtig und Falsch, sondern die Möglichkeit, des Übens und der Erkenntnis.
Eine Zeitschleife beginnt stets gleich. Die Figur wacht auf oder übt in einem bestimmten Moment eine bestimmte Tätigkeit aus. Ganz praktisch formuliert befindet sich die Figur in einer für das Publikum leicht zu identifizierenden und von der Kamera leicht einzufangenden Situation, von der aus die Handlung erzählt werden kann.
In der Folge beobachten wir das Geschehen rund um die Figur während des ersten, des ursprünglichen Durchlaufs. Was wir hier sehen ist das Original, also die Version, die aus den zu erwartenden Verhaltensweisen der Figur resultiert. Diese Version ist zutiefst unbefriedigend, da hier Fehler passieren oder zumindest nicht das Optimum aus der Situation herausgeholt wird.
Dann gibt es ein visuelles und/oder akustisches Signal und der chronologische Charakter der Narration kommt zum Erliegen. Die Situation zu Beginn der Handlung wird wiederhergestellt und die bestimmte Tätigkeit in einem bestimmten Moment erneut ausgeführt. So weit, so gut.
Im Gegensatz zu einer echten Wiederholung beginnt der zweite Durchlauf mit dem Unterschied, dass die Figur um die Wiederholung weiß.
Es kann zwar sein, dass zunächst an das Phänomen des Déjá vus gedacht wird, doch weicht dieses Denken alsbald der Erkenntnis, dass die Wiederholung, also die Reproduktion der Ereignisse tatsächlich stattfindet, und dass diese Wiederholung fortlaufend ist.
Gleichsam wird der Figur bewusst, dass sie den Ereignissen nicht entrinnen kann. Sie muss sich mit ihnen abgeben, so wie sich eine im Gefängnis sitzende Figur damit abgeben muss, eingekerkert zu sein.
Im Gegensatz zum realen Strafvollzug ist die filmische Gefangenschaft allerdings halb so schlimm. Zum einen, weil die Figur im Film nur in der Fiktion existiert, und zum anderen, weil die wahren von dieser Gefangenschaft betroffenen Menschen, wir sind, das Publikum, das vor der Leinwand sitzt und die Ereignisse somit aus sicherer Distanz verfolgt.
Zudem ist diese Art der Gefangenschaft weniger eine Bedrohung als eine Chance, weil hier die Befreiung aus eigenem Antrieb heraus in Aussicht gestellt oder wenigstens erhofft wird.
In seinem Text über Zeitanomalien im Film[1] begreift Hans Jürgen Wulff Zeit als „nichts Homogenes, sondern Teil der materiellen, kulturellen und subjektiven Erlebniswelten“[2], „gerahmt vom Wissen, dass sich die Aneignung in einem symbolisch-textuellen Raum ereignet, […] dass das Geschehen ein <Als-ob-Geschehen> ist“[3]. Wulff bezieht hier das Publikum direkt mit ein und verweist auf die Möglichkeit des Films „Zeit zu modellieren, den Zuschauer (sic!) in einen zeitlichen Prozess mit einzubinden, ja, die Zeitlichkeit des Geschehens selbst zu reflektieren.“[4]
Diese Kombination aus dem Als-Ob und der Reflektion macht es möglich, dass das Publikum sich selbst in die gefangene Figur hineinprojiziert.
Die Aufgabe, die der Figur im Film gestellt wird, wird dadurch zur eigenen Aufgabe und wie in einem Abenteuer- oder Kriminalfilm begibt sich auch das Publikum auf die Suche nach der Lösung des Problems.
Die „filmische Zeit“[5]
beruht für Wulff zudem auf einer „Mehrschichtigkeit des semiotischen Materials
[und integriert] zum Teil den Wissenshorizont der Zuschauer (sic!)“[6].
Dabei können wir berücksichtigen, dass die Anomalie der Zeitschleife eine Form
von Gleichzeitigkeit darstellt.
Zwar ist sie in erster Linie eine Wiederholung und wird notwendigerweise nacheinander
gezeigt, aber springt die Handlung immer wieder zu einem, wie Sabine Zubarik[7]
es nennt, „nodalen Ausgangspunkt“[8]
zurück und erfüllt damit die „Idee der Simultaneität“[9].
Zubarik schreibt außerdem, dass „die Effekte der Gleichzeitigkeit umso
evidenter hervortreten, je enger das filmtechnische Regelwerk ist, [und dass]
die Kontaminationen (gemeint sind Überlagerungen, Verdoppelungen,
Berührungspunkte, verstärkende und negierende Interferenzen) der parallelen
Versionen untereinander die eigentlich sinngenerierenden Momente sind.“[10]
Damit benennt sie in ähnlicher Weise wie Wulff eine semiotische Ebene und
verweist indirekt auf das Publikum, das die Unterschiede in den Varianten nur
dann erkennen kann, wenn es um die Gemeinsamkeiten weiß.
Das Wissen um Gemeinsamkeiten zwischen den Varianten ist besonders wichtig, da laut Zubarik Zeitschleifen „[e]in manipulativer Effekt von einer Variante zur nächsten […] zugesprochen“[11] wird.
Interessant ist dabei, dass die Manipulation sowohl auf formaler Ebene als auch auf psychologisch-inhaltlicher vonstattengeht. Von der formalen Ebene haben wir bereits erfahren, insofern sie sich in den Kontaminationen manifestiert. Auf der psychologisch-inhaltlichen Ebene finden wir die Figur und ihr Handeln wieder, welches sich von Variante zu Variante stets leicht verändert.
An diesem Punkt sei das Konzept der doppelten Kontingenz genannt, welches auf den Soziologen Niklas Luhmann zurückgeht.
In einer Aufarbeitung[12] der sogenannten „Sozialen Systeme“ Luhmanns erklärt Elena Esposito die doppelte Kontingenz wie folgt:
Doppelte Kontingenz beschriebt für Luhmann die Begegnung zweier black boxes, die füreinander intransparent bleiben, aber voneinander abhängig sind und gegenseitig darum wissen. Eine gewisse Transparenz, Ausgangspunkt für das In-Gang-Setzen einer sozialen Dynamik, entsteht nicht, weil jeder (sic!) weiß, was der jeweils andere (sic!) denkt und will […], sondern weil beide wissen, dass auch der andere (sic!) entscheidet, wie er sein (sic!) Verhalten nach dem Verhalten der Gegenseite ausrichtet.[13]
Beziehen wir dieses Konzept auf Zeitschleifen, ist klar, dass die eine Seite, die eine black box, die gefangene Figur ist. Auf inhaltlicher Ebene findet sich die zweite black box diegetisch im Film verortet in einer anderen Figur oder einer Situation. Auf psychologischer Ebene verschieben sich die Fronten leicht. Dann nämlich finden sich in der ersten black box sowohl die Figur als auch ihr Gegenüber und in der zweiten black box, so möchte ich unterstellen, wir, das Publikum.
Wie eingangs beschrieben, projizieren wir unser selbst auf das Geschehen auf der Leinwand, werden aus der Distanz heraus Teil des Geschehens. Insofern vermengen wir die Teile der Diegese zu einer (wenngleich komplexen) Einheit und treten mit ihr in einen Dialog, oder, um es mit den Worten David Bordwells auszudrücken, „[t]he narrative film is so made as to encourage the spectator to execute story-constructing activities. The film presents cues, patterns, and gaps that shape the viewer’s application of schemata and the testing of hypotheses.“[14]
Das ständige Wiederholen und stückweise Überschreiben der ursprünglichen Version der Ereignisse führt ferner dazu, dass der originale Handlungsverlauf irgendwann nicht mehr existiert. Zwar geistert er noch als Erinnerung umher, doch ist er beim finalen Verlassen der Zeitschleife nicht mehr vorhanden und ausschließlich der Figur (und uns) bewusst. Genau genommen hat er auf Grund der Simultaneität der Ereignisse beim finalen Verlassen der Zeitschleife nie existiert. Zubarik erinnert in diesem Zusammenhang an die Theorie des Simulacrums von Jean Beaudrillard und schreibt, „dass eine Bewusstwerdung von anderen Lebensmöglichkeiten […] durch die Kontamination mit anderen Versionen des Ich möglich und damit die Möglichkeit gegeben sei, alternative Wege zu beschreiten und durch kleinste Verschiebungen enorme Veränderungen zu erzielen.“[15]
Für das Publikum bedeutet dies zuletzt eine besondere Form der Katharsis, da hier der Traum des Neuanfangs gegeben ist in der Art, dass eine Aufgabe, für die wir im realen Leben immer nur einen Versuch haben (und selbst bei einem zweiten Anlauf bleibt der Nachgeschmack des verpatzten ersten Versuchs), beliebig oft neu angesetzt und ohne Zeitverlust optimal gelöst werden kann. Fehler könnten ausradiert werden und in diesem Sinne ist die Gefangenschaft in einer Zeitschleife weniger eine Bedrohung als eine Chance.
Quellennachweise
Bordwell, David, Narration in the Fiction Film, Madison: University of Wisconsin Press 1985
Horster, Detlef (Hrsg.) Niklas Luhmann. Soziale Systeme, Akademie Verlag 2013
Kreuzer, Stefanie (Hrsg.), FilmZeit. Zeitdimensionen des Films, Marburg: Schüren 2021
[1] Wulff, Hans Jürgen, „Kaleidoskop der Zeitanomalien im Film. Rezeptionsästhetische Überlegungen“ in Kreuzer, Stefanie (Hrsg.), FilmZeit. Zeitdimensionen des Films, Marburg: Schüren 2021, S. 113-132
[2] Wulff, S. 114
[3] Wulff, S. 114
[4] Wulff, S. 114
[5] Wulff, S. 116
[6] Wulff, S. 116
[7] Zubarik, Sabine, „Das Simulacrum der Gleichzeitigkeit“ in Kreuzer, Stefanie (Hrsg.), FilmZeit. Zeitdimensionen des Films, Marburg: Schüren 2021, S. 149-174
[8] Zubarik, S. 152, Sabine Schenk zitierend
[9] Zubarik, S. 152
[10] Zubarik, S. 151
[11] Zubarik, S. 157
[12] Esposito, Elena, „Doppelte Kontingenz (4. Kapitel)“ in Horster, Detlef (Hrsg.) Niklas Luhmann. Soziale Systeme, Akademie Verlag 2013, S. 49-60
[13] Esposito, S. 50f
[14] Bordwell, David, Narration in the Fiction Film, Madison: University of Wisconsin Press 1985, S. 33
[15] Zubarik, S. 172
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