Thor: Love and Thunder wird sich im Laufe der Zeit in die Reihe der Filme eingliedern, die man an verregneten Sonntagen abarbeitet, während man es sich mit Tee und Decke auf dem Sofa gemütlich macht.
Gleichsam strahlt der Film eine eigenartige Tiefe aus.
Ähnlich wie Roland Barthes -jetzt wird’s deep- den Tod des Autors ausrief und die Geburt des Lesers verkündete, so scheint sich Taika Waititi zur Aufgabe gemacht zu haben, das Göttliche nach Brechtscher Manier zu dekonstruieren und durch etwas anderes zu ersetzen.
Gehen wir die göttlichen Begegnungen kurz durch.
Doch statt Erlösung zu erlangen, verspottet ihn sein Gott und erklärt ihm hart, dass Götter keine sorgsamen Heilsbringer darstellen und stattdessen ihre Gläubigen wie minderwertiges Vieh ansehen, mit dem sie spielen und an denen sie sich ergötzen können.
Dann treffen wir auf unseren Helden, der ebenso
das Göttliche verloren hat und als eine Mischung aus Magier (die Harry Potter Referenz
kommt hier nicht von ungefähr) und A-Team-Spezialeinheit durch die Galaxie
reist, um Völker zu retten, die um Hilfe bitten.
Dabei ist Thor abgehoben, realitätsfremd und ich-bezogen. Wie ein Rockstar
lässt er sich unter dem Deckmantel falscher Bescheidenheit für seine Taten
feiern.
In der Götterstadt wird uns dann ein Zeus präsentiert, vor dem alle anderen Götter Ehrfurcht haben, der aber alles andere als ehrfürchtig daherkommt.
Wie schon der Gott vom Beginn des Films blickt
auf Zeus auf alle anderen herab und äußert sich abfällig. Gorr könnte ihm nicht
gefährlich werden. Die Götter, die bislang gestorben wären, waren ohnehin nur
mickrig.
Zeus sagt dies in Gegenwart von Bao, dem Gott der Knödel, einer Art
Manga-Emoji.
Wir können uns schon fragen, wie mächtig ein Manga-Knödel sein muss, dass es nicht zu den mickrigen, zu den unwichtigen Göttern zählt.
Zeus ist, wie bereits erwähnt, herablassend, vertraut einzig auf seinen Donnerkeil und pflegt kaum mehr als die Selbstinszenierung mit viel Brimborium.
Er ist zudem anachronistisch umgeben von blonden Schönheiten, selber aber körperlich etwas aus der Form geraten.
Parallel dazu verfolgen wir Jane Foster, die als Mighty Thor nunmehr auch gottgleich ist. Sie ist „ein Thor“, was uns zu den Fragen führt, wie viele Thors noch möglich sind und ob es wirklich reicht, einen Hammer aufzuheben, um gottgleich oder gar göttlich zu sein.
Stück für Stück dekonstruiert Waititi den göttlichen Mythos und zeigt uns auf, dass da bis auf Weiteres nichts ist, auf das wir uns verlassen können.
Erst im Endkampf präsentiert uns der Regisseur, Autor und Synchronstimme einen
möglichen Ausweg aus dieser Misere.
Als Thor die Kinder retten möchte, lässt er sie kurzzeitig an seiner göttlichen
Kraft teilhaben.
Willkürliche, sich in der Umgebung befindliche Gegenstände werden göttlich
aufgeladen und können nun als Waffe dienen.
In grandiosen Bildern wird dieser Angriff der Armee der Kinder inszeniert und
umgehend werden wir mit unserer eigenen Kindheit konfrontiert.
Waren wir selber nicht auch einst in der Situation, in der aus einer
Taschenlampe ein Laserschwert wurde und aus einem Stock eine Pistole und was
hätte nur alles passieren können, hätten wir das Potential unserer Kuscheltiere
richtig verstanden?
Dieser Angriff ist nichts weniger als eine wahrgewordene Kindheitsfantasie und
das wahre Göttliche.
Barthes nimmt dem Autor die Hoheit über die Bedeutung eines Textes und
überträgt sie auf den Leser.
Waititi vernichtet unsere Götter und zeigt uns, dass wir für uns selbst verantwortlich sind und dass das Göttliche in uns selber ruht.
Am Ende ist Thor kein Gott mehr, sondern ein Superheld –nicht mehr und nicht weniger.
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