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Spider-Man (US 2002)

In den mehr als einhundert Jahren, die es Kino bereits gibt, habt es immer wieder auch Comicverfilmungen gegeben.

Hervorzuheben sind die „Batman“-Inszenierungen der 1960 Jahren, das Wiederaufleben des dunklen Ritters Ende der 1980er und natürlich auch Zack Snyders Verfilmung der Watchmen (US 2009).

Comics rund um Superhelden entstammen einer Tradition des Camps, in denen alles überhöht und irgendwie bunt ist und die Held*innen wie Sensationen hervorgehoben werden, während sie ihre Taten wie Kunststücke vollführen.

Immer wieder stoßen Comic-Verfilmungen dabei auf Grenzen, die durch das Publikum gesetzt werden. Nicht selten sind diese Grenzen im Camp zu finden, also in den Momenten, in denen sie besonders abgedreht und bunt sind.

Nach Batman hält die Welt in Atem (US 1966) kam bis 1989 nichts mehr und nach Batman und Robin (US 1997) war ebenso Schluss.

Lou Ferrignos Der unglaubliche Hulk (US 1978-1982) ist abseits der Fan-Community kaum mehr ein Begriff und der Spider-Man der 1970er Jahre ruht in wohlverdienter Vergessenheit.

Spider-Man, die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft, war von Anfang auch als Antiheld angelegt und diesem Zusammenhang auch immer campy.

Im Gegensatz zu einem Außerirdischen mit Super-Kräften oder einem Milliardär mit Super-Hilfsmitteln ist Peter Parker ein unscheinbarer Junge, der auf die High School geht und durch einen Unfall besondere Fähigkeiten erlangt. Stets einen flotten Spruch auf den Lippen gleichen die Bewegungen, die aus seinen besonderen Kräften entstehen, Kunststücken, wie wir sie im Zirkus finden können.

Sein Kostüm ist nicht strahlend oder grau-schwarz, er besitzt kein Cape, ist nicht breitschultrig und hat kein markantes Kinn.

Spider-Man ist eher dünn, schlaksig, sein Kostüm ist blau-rot und imitiert ein Spinnennetz.
Er ist, wie bereits erwähnt, ein Schüler und gleicht mehr dem Leser von Comics als dessen Hauptfigur.
Peter/Spidey muss quasi übertrieben sein, um zu wirken.

Als also 2002 Sam Raimis Spider-Man in die Kinos kam, war dies nicht ohne Risiken.

Von Bryan Singers X-Men (US 2000) gab es erst einen Teil der 1998er Blade war weniger als Adaption eines Superhelden Comics ein Begriff, sondern galt als blutrünstige fantastische Action für Erwachsene.
Zudem lag die Schmach von Batman und Robin erst fünf Jahre zurück und Christopher Nolan sollte noch viel Arbeit vor sich haben, Geld für seinen Batman Begins (US 2005) zu akquirieren, obwohl es bis dahin bereits zwei erfolgreiche X-Men-Filme und ebenso zwei sehr erfolgreiche Spider-Man-Filme geben sollte.

Doch Raimi machte alles anders und der Film wurde ein Erfolg.

Selbstverständlich setzt Spider-Man mit der Ursprungsgeschichte rund um den berühmten Biss durch eine Spinne ein und es ist wohl mit einem Augenzwinkern zu verstehen, wenn die Forscherin der Gruppe Schüler*innen von 15 genmanipulierten Spinnen berichtet und nicht weiter reagiert, als MJ sie darauf hinweist, dass dort nur 14 Spinnen zu finden seien –frei nach dem Motto: Liebes Publikum. Es ist nur eine Spinne und irgendwie müssen wir sie Peter beißen lassen. Seid lieber froh, dass wir den Kram direkt an den Anfang des Films packen und uns nicht lange damit aufhalten.

Und so ist es auch.
Alle wesentlichen Figuren werden unmittelbar zu Beginn des Films eingeführt und umgehend so weit unterfüttert, dass wir Sympathien entwickeln und mit ihnen fühlen können.

Peter Parker, der Niemand, der so gerne das Mädchen hätte, der bei Onkel und Tante aufwächst und blitzgescheit ist, aber nicht mit Ansehen und Geld mithalten kann.

Mary Jane Watson, besagtes Mädchen, welches ihre Rolle in der Welt noch finden muss.

Ihr Freund Flash, der so überbordend negativ geschrieben ist, dass wir ihn in keinem Moment vermissen, nachdem er verprügelt und so aus dem Film geschrieben wurde.

Harry Osborne, Peters Freund, der zwischen Peter und seinem Vater Norman Osborne steht, halt- und hilflos aufwächst und wohl ohne zu wissen, dass sein Verhalten falsch ist, Peter verletzt.

Norman Osborne, der Konzernchef, der mit der Rolle des Vaters überfordert ist und noch einen weiteren Konflikt auszutragen hat, als sich der Kobold in ihm zu erkennen gibt.

Parallel dazu haben wir eine Kameraarbeit, die sich an den titelgebenden Arachniden orientiert.
Wie eine Spinne, die sich ihre Netze durch einen ganzen Raum spinnen kann, ist auch die Kamera von Beginn an räumlich angelegt. Höhepunkte sind dabei natürlich die Momente, in denen Spider-Man durch die Lüfte schwingt oder an Wänden emporkraxelt, doch auch in anderen Momenten, etwa in der berühmten Kussszene, weist der Film eine besonderes Verhältnis zur Räumlichkeit auf.

Nahaufnahmen und Totalen wechseln sich ab und machen aus einem vermeintlich simplen Film ein Abenteuer in einem Labyrinth.

Und als Labyrinth können wir den Film auch inhaltlich fassen.
Raimi und Drehbuchautor David Koepp verstehen, dass dieser Film nicht nur ein Film über einen Superhelden ist. Spider-Man schwebt nicht über den Dingen wie Superman oder ist ohnehin schon so zerfressen von seinen inneren Dämonen wie Batman, dass die Welt außerhalb der Verbrechensbekämpfung kaum einen Wert mehr hat.

Spider-Man ist Peter Parker und dieser ist ein Teenager und neben der Pubertät, dem Schulabschluss und der enormen Aufgabe der Selbstfindung hat er noch mit diesem Spinnenbiss zu kämpfen und dem Verhältnis von Kraft und Verantwortung, die daraus erwächst.

Und dabei kann er auch scheitern.
Ohne mit der Wimper zu zucken erzählen Koepp und Raimi vom Dieb, den Peter laufen lässt, weil er sich beleidigt fühlt, und dem darauffolgenden gewaltsamen Tod seines Onkels Ben durch eben diesen Dieb.

Und als Peter den Mörder stellt und erkennt, um wen es sich handelt, lässt er seinerseits den Mann sterben und zuckt gleich Raimi und Koepp nicht mit der Wimper.

Es ist ein starkes Stück, welches wir hier sehen, und es wird nicht kaschiert.
In Batman-Filmen wird immer betont, dass Batman nicht töte, während reihenweise namenlose Kriminelle das Zeitliche segnen.

In Spider-Man gibt Onkel Ben zu bedenken, dass Peter, nur weil er es könne, kein Recht dazu habe, jemandem zu schaden.
Dennoch lässt Peter den Mann sterben und Koepp und Raimi zeigen uns, dass Lehren erst verstanden werden müssen

Das Zauberwort lautet an dieser Stelle Coming-of-Age und Raimi verbindet das Heranwachsen und Umherirren der Figuren mit allen Mitteln, die dem Film zur Verfügung stehen.

Und er erinnert an die Überhöhung durch das vielgehasste aber dann noch notwendige Camp, ohne welches eine Figur wie Spider-Man nicht auskommen kann.

Da kann es schnell kommen, dass der Score von Danny Elfman, der bereits bei Tim Burtons Batman (US 1989) die Musik komponierte, vertraute Elemente aufgreift, und dass die Festtagsszene, an der der Kobold das erste Mal in der Öffentlichkeit erscheint, ebenso an den Festtagsumzug aus Batman erinnert.

Spider-Man ist ein gelungenes Werk, das auf zwei Ebenen funktionieren kann.

Einerseits ist es ein packendes Action-Spektakel mit einem Bösewicht erster Klasse, der rund geschrieben ist und in allen Facetten glänzen und erschrecken kann.

Andererseits können wir den Spinnenbiss als reine Funktion verstehen und die ganze Netzspinnerei als MacGuffin betrachten, der nur Mittel zum Zweck ist. Oder aber wir intensivieren den funktionalen Gedanken und denken bei der Superhelden-Thematik an Jacques Lacans Objekt klein a, bei dem ein Ideal als Ziel (Objekt der Begierde) in der Ferne erscheint, dann im Moment des Erreichens an Bedeutung verliert und durch ein neues Ziel ersetzt wird.

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