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Die Sache mit der Frisur

Vor ein paar Tagen habe ich Martin Scorseses
Taxi Driver (US 1976) gesehen. Es handelte sich dabei um eine Erstsichtung. Bis dato hatte ich mit dem Film kaum Berührungen gehabt. Zwar konnte ich den Film zeitlich einordnen und ich kannte ich das Finale und die Szene mit dem Telefonat nach dem Kinobesuch, doch muss ich ehrlich gestehen, dass mich dieser Film am Ende sprichwörtlich erschlagen hat.

Mit 114 Minuten Lauflänge kam mir Taxi Driver gefühlt länger vor als Michaels Manns Heat (US 1995), der 171 Minuten lang ist.

Doch, so sehr ich durch den Film an die Wand gedrückt war, so fasziniert war ich auch.

Taxi Driver ist nicht einfach zu schauen und wirkt ohne Zweifel abschreckend. Unabhängig, ob wir einer schnelllebigen TikTok-Generation angehören oder die innere Ausdauer eines Zen-Buddhisten besitzen, stellt uns der Film auf eine echte Probe.

Gleichsam ist der Taxi Driver unglaublich immersiv.

In seiner postdramatischen, offenbar ziellosen Struktur lässt uns Taxi Driver erahnen, wie es sein muss, in scheinbar endlosen Nachtschichten in dem Moloch, der sich Großstadt nennt, Taxi zu fahren.
Er macht uns mürbe, durch die beinahe monotone Hintergrundmusik und die fortwährenden Wiederholungen, den kaum erkennbaren Prozess und den Eindruck der Sinnlosigkeit, trotz diverser Versuche keinen Erfolg zu haben.

Während meiner Sichtung habe ich die ganze Zeit nach einem Sinn gesucht, einem Prozess, einer Heldenreise, aus der eine Art Abenteuer erwächst. Ich habe mich auf die Dialoge konzentriert und habe versucht, Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Taxifahrt herauszufinden, zwischen der dritten und der vierten.

Ich habe überlegt, ob sich die Farbgebung ändert, ob der politisch ahnungslose Travis seine Liebe für Debatten entdeckt, nachdem er dem brabbelnden Wizard die Stirn geboten und dem Senator einen Vortrag gehalten hat –und sei es nur, um Betsy zu beeindrucken, bei der Kris Kristofferson und ein Besuch im Pornokino ihre Ziele verfehlten.

Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, ob die Erlebnisse in Vietnam irgendwann Konsequenzen haben würden, ob sich eine Verzweiflung wie die von John Rambo (Rambo US 1980) ausbreitet oder ein manischer Realitätsverlust wie in Die durch die Hölle gehen (US 1978) eintritt, immerhin war Travis bei den Marines, leidet seither unter Schlafstörungen und nimmt Medikamente ein.

Doch nichts von alledem findet im Film prozessuale Anwendung.
Vielmehr mündet alles, was er anfängt, in eine bedeutungslose Leere.

Seine Schlafstörungen werden nicht kuriert; Ende.
    Die Beziehung zu Betsy endet auf einmal. Sie beantwortet seine Anrufe nicht, er ist darüber empört; Ende.

    Seine Frage an Wizard wird mit krudem Kauderwelsch beantwortet. Travis konfrontiert ihn damit, Wizard wird patzig; Ende.

    Ein Fahrgast erklärt Travis die Hintergrundgeschichte zu einer Silhouette am Fenster; Ende.

Nichts in diesem Film erzeugt größere Reaktionen oder hat spürbar Sinn.

Und dann ist mir diese kleine Nuance aufgefallen, diese kaum merkliche Veränderung.
Auch sie wird weder kommentiert, noch leitet sie laut tönend ein neues Kapitel des Films ein, aber sie ist da und auch wenn wir sie gar nicht oder nur kaum wahrnehmen, so ist sie dennoch existent.

Travis Bickle, anfangs nur eine Strähne von einem Wuschelkopf entfernt, hat sich die Haare geschnitten. Die Frisur ist zwischen zwei Einstellungen plötzlich eine andere geworden.

Nicht unbedingt schnittiger, aber kürzer. Kein 3mm-Maschinenhaarschnitt, erst recht keine geschorene Glatze wie im Anfang von Full Metal Jacket (US 1987), aber halt kürzer.

Travis‘ Haarpracht ist anders und doch nichtssagend. Sie vermittelt keinen Status oder trifft Aussagen über den Lifestyle einer Person, allein sie hat sich verändert.

Wir können die Tatsache, dass diese Veränderung, wie bereits erwähnt, zwischen zwei Einstellungen off camera stattfindet, symbolisch aufladen und durch ihre visuelle Abwesenheit mit der Leere und Bedeutungslosigkeit kombinieren, die den Film beherrschen.

Wir können dieser Veränderung auf Travis anwenden und überlegen, ob sich hier ein Zeichen versteckt, dass uns etwas Großes ankündigt.

Der immerwache Travis verändert sich.
Er möchte eine Schusswaffe kaufen, um sich verteidigen zu können. Er wird zwar nie angegriffen, aber die nicht weiter kontextualisierten Eindrücke, denen er Nacht für Nacht ausgesetzt ist, bewirken in ihm, der selber ohne Kontext durch das Leben geht, das Gefühl des Bedroht Seins.
Seine Wunschwaffe ist eine .44er Magnum, doch als der Händler ihm weitere Pistolen präsentiert und die jeweiligen Vorteile erläutert, erwirbt Travis das gesamte Konvolut.

Übertreibt Travis? Womöglich, denn für eine reine Selbstverteidigung ist der Kauf maßlos.
Travis scheint nach Höherem zu streben. Umgeben von dieser äußeren Einöde, entwickelt er innere Konflikte und innere Ziele.

Vor dem Spiegel stehend, imaginiert er sich in eine fantastische Shoot-Out-Situation irgendwo zwischen Harry Callahan (Dirty Harry, US 1972), James Bond und einem Vigilanten-Dasein à la Batman oder anderer Superhelden.

Aus einer Schublade konstruiert er eine Apparatur, die an die Trickkiste eines James Bonds erinnert, was ihn noch mehr in die Richtung eines Superhelden drängt.

Ferner passt er seine Kleidung an, um seine Waffen besser verstecken und einsetzen zu können.

Mit dem Haarschnitt geht eine Veränderung der Persönlichkeit einher, die sich überall dort ausbreitet, wo die äußere Welt keinen Halt bietet.

Dass er damit durchkommt, zeigt die Szene im Geschäft, als er einen Mann niederschießt, der den Kassierer auszurauben versucht.

Ohne ein Wort des Aufschreis lässt ihn der Kassierer gehen und gibt seiner imaginierten Identität somit die Berechtigung der Existenz.

Doch wo fängt es an und wo hört es auf?

Travis hat für seinen Schuss weder Tadel noch Belohnung oder Anerkennung erhalten. Der Kassierer wollte Travis loswerden, weil er selber auf den mittlerweile leblosen Körper einprügeln wollte.

Um wirkliche Bedeutung, um echten Sinn zu erlangen, muss Travis weitergehen.

Sein vermeintliches Engagement für den Senator, das uns als Bewunderung für ihn verkauft wird, entwickelt sich für uns unsichtbar zu einer fanatischen Obsession.

Wieder eine Veränderung, von der wir nichts mitbekommen, weil die Nuancen einfach zu gering sind.

Dann jedoch kommt der große Wurf.
Nicht auszudenken, wie lang der Film geworden wäre, hätte Scorsese all die Momente, die zwischen den Einstellungen geschehen, im Film visualisiert.

Erneut verändert sich Travis‘ Frisur und dieses Mal erscheint er uns mit dem ikonischen Irokesenschnitt.
Travis muss glauben, dass ihn diese Veränderung maskiert, doch als das Attentat misslingt und ihn der Secret Service Agent, mit dem er sich zuvor –damals noch anders frisiert- ausführlich unterhalten hatte, erkennt, muss Travis fliehen; Ende.

Wieder eine Episode, deren Konsequenzen im Sande verlaufen.

Umgehend stürzt sich Travis in ein neues Narrativ.
Nach dem Taxifahrer, dem Liebhaber und dem berüchtigten Revolverhelden in der Art eines Lee Harvey Oswalds, über den noch in Generationen gesprochen werden wird, gibt sich Travis ganz der Rolle des Rächers hin.

Einmmal mehr können wir hier Parallelen zu eher düsteren Superhelden wie den Watchmen oder eben Batman erkennen.

(Der Vergleich ist aus heutiger Sicht klar, doch im zeitlichen Kontext der Entstehung des Films mit Vorsicht zu genießen, da Watchmen erst 1986/1987 erschien und Batmans Transformation zum Dunklen Ritter, wie wir ihn heute kennen, ebenfalls in den 1980er Jahren vollzogen wurde. Es gibt jedoch mit „The Joker’s Five-Way Revenge!“ (Batman #251, DC 09/1973) bereits eine Geschichte, in der Grausamkeit und Wahnsinn des Jokers ein neues Niveau erreichen, wodurch eine Trennung von den bisherigen eher bunten Abenteuergeschichten geschieht.)

Der Rest, will sagen, das Finale des Films, ist Geschichte.


Wir haben uns nun mehrfach mit großen und kleinen Veränderungen befasst und der Tatsache, dass die Suche nach Sinn und die Findung desselben nicht unbedingt an der sichtbaren Oberfläche stattfinden.

Vielmehr sind es innere Prozesse, die bisweilen unser Handeln lenken, vor allem dann, wenn die Äußere Welt keine Anhaltspunkte liefert.
Es mag überlegt werden, ob der Sturm des Bordells überhaupt stattfindet oder ob die surreale Gewaltorgie nicht eher Travis‘ Fantasie entspringt.

Könnte es sein, dass die zerknüllte Zwanzig-Dollar-Note ihn zwar an Iris erinnert, er sie aber nie wiedergesehen geschweige denn gerettet hat?

Wieso kann sich Travis am Ende nicht erschießen?

Unmöglich, dass er wirklich seine gesamte Munition verschossen hat. Könnte es nicht sein, dass selbst in der Imagination nicht alle Waffen geladen waren und der instinktive Wille zu überleben stärker war als die heroische Selbsttötung nach getaner Arbeit?

Taxi Driver erinnert uns an den Umstand, dass wir Menschen mehr sind als die Summe unserer Funktionen und dass das menschliche Dasein so komplex ist, dass selbst kleinste Veränderungen zu ungeahnten Konsequenzen führen können, wenn Haltung und Leitung durch eine Gemeinschaft versagt.

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