Wenn wir über Filme nachdenken, wenn wir uns ggf. schwärmend überlegen, was Filme ausmachen, weshalb uns Filme anziehen, geschieht es leicht, dass wir von einer Magie des Films sprechen, von der Erschaffung von Welten. Ganz gleich, ob es sich um Erzählungen handelt, die sich am realen Leben orientieren oder die sich weit davon lösen und die Dimensionen des Fantastischen erforschen, Filme nehmen uns immer mit auf eine Reise. Eine Reise an ferne Orte, eine Reise ins Innere unseres Selbst, und ganz unabhängig davon, ob die Filme strengen formalästhetischen Schemata folgen und wir die nächsten Schritte des Films erahnen können oder nicht; unterm Strich ist jeder Film etwas, das wir nicht in Gänze vorhersehen können.
In diesem Sinne ist der Ausspruch des Zauberers
Schmendrick nicht nur ein Wortbeitrag innerhalb der Diegese von Das letzte
Einhorn (US 1982).
„Zauber, tu, was Du willst“ ist auch
eine Aufforderung an den Film selbst, die Magie spielen zu lassen und uns, das
Publikum, von einer zauberhaften Episode zur nächsten zu tragen.
In seinen Grundzügen ist Das letzte Einhorn kein einzigartiger Film. Er erzählt eine klassische Fish-out-of-water-Geschichte und auch wenn wir nicht alle Figuren von Beginn an kennen und nicht alle Wendungen vorhersagen können, so ist folgt der Film dennoch klaren Mustern.
Einzig das Ende ist im Vorfeld nicht eindeutig
zu erkennen, da die Spannung wirklich bis zuletzt aufrecht bleibt.
Was den Film allerdings so besonders macht,
worin sich somit die Magie des Films zu erkennen gibt, ist die Art, wie Das
letzte Einhorn erzählt wird, die fehlerbehafteten Figuren, die selber nicht
genau wissen, worin die Reise geht, und die visuelle Umsetzung des Stoffes.
In Das letzte Einhorn sehen wir uns einer radikalen Abkehr von einer Disney-Ästhetik gegenüber.
Denken wir an Arielle – Die kleine
Meerjungfrau (US 1989), der nur sieben Jahre nach dem letzten Einhorn
veröffentlicht wird.
Auch hier haben wir eine weibliche
Protagonistin, die ihre Heimat und sogar ihren Körper verlässt. Sie ist umgeben
von schrulligen, ihr freundlich gesinnten Figuren, einigen Feinden und am
Schluss wartet das Böse, welches allein schon körperlich wesentlich größer ist
als die Protagonistin. Ach ja, gesungen wird auch.
Doch, wo Disney eine kunterbunte Welt entwirft,
bei der nicht zuletzt die Farbgebung nach einem Happy End schreit und wo die
Lieder Kunststücke sind, die an Zirkusattraktionen erinnern, ist Das letzte
Einhorn das genaue Gegenteil.
„Arielle“ entwirft keine Unterwasserwelt,
vielmehr gleichen viele Orte kitschig dekorierten Aquarien.
Farblich klar voneinander getrennt liegen die
Welten von Arielle und der Hexe Ursula nicht nur symbolisch einander gegenüber.
Sie trennen den Film als solches in zwei Teile.
Und natürlich haben wir auch hier den für Disney typischen Topos, nach dem die Gemeinschaft die Bedrohung nicht besiegen kann. Es bedarf einer einzelnen Heldenfigur, die nicht selten männlich ist und als deux ex machina den Tag retten kann und soll.
Das letzte Einhorn verzichtet auf all das.
Dieser Film erzählt eine Geschichte aus längst
vergangenen Tagen und nimmt uns mit auf eine Zeitreise und somit ist auch die
Motivation der Protagonistin tiefsitzend und bedeutend und nicht darin
begründet, dass ein junges Gör den Hals nicht vollkriegt.
Fresken, die ans europäische Mittelalter
erinnern, wissen von Einhörnern und Drachen zu berichten, und in eben diesem
Stil ist die sichtbare Welt des Films gehalten.
Organisch und gleichsam malerisch sehen wir das
Einhorn über Graslandschaften galoppieren und aus Teichen und Seen trinken.
Und obwohl der Film aus den USA stammt und
sich, wie bereits erwähnt, am europäischen Mittelalter orientiert, erinnern uns
Elemente im Zeichnen, gerade, wenn es um das menschliche Gesicht der
Protagonistin handelt, an die Ästhetik japanischer Anime.
Die Farben sind gedeckt und spiegeln die Einsamkeit und die Vergänglichkeit des Wesens, welches sich als das letzte seiner Art wähnt.
Die Welt im Film ist groß und so haben alle
Figuren, die das Einhorn trifft, eigenständige Wege hinter und vor sich, haben
alle Figuren eine individuelle Reise.
Die Gemeinschaft im Film muss sich erst finden.
Im Gegensatz zur Gemeinschaft im Disney-Film,
sind die Charaktere hier nicht wie aus einem Guss und ewig jung.
Sie sind gezeichnet von Ereignissen, von Plagen
und Verlust. Ihre Gesichter sind runzlig und ihre Stimmen gebrochen. Die Welt
im Film kennt das Vergangene und ist so zerbrechlich, dass sogar Skelette
betrunken werden können.
Das Treffen mit Mommy Fortuna zeigt, dass alles
zwei Seiten hat und dass Handlungen Konsequenzen nach sich ziehen und wenn am
Schluss die Protagonistin vor ihrer vermeintlichen Nemesis steht, ist sie
allein. Ähnlich wie bei Disney versagt hier die Gemeinschaft, aber nicht, weil das
Drehbuch und eine männlich-kapitalistische Ideologie es so verlangen.
Der finale Konflikt ist eine Prüfung, die sich
aus der Erzählung heraus ergibt.
Und die Lieder?
Nun, im Gegensatz zum
Sing-Along-Kindergeburtstag der offensichtlich gekochten Krabbe Sebastian,
hören wir hier innere Monologe.
Die Lieder in Das letzte Einhorn bereichern
den Film. Sie ziehen ihn nicht in die Länge und blenden, indem sie Style über
Substance stellen, sondern fügen der Plot-Ebene des Films Tiefe und die Ebene
der Story hinzu.
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