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Lonely Castle in the Mirror (JPN 2022)

Die Schülerin Kokoro hat Angst, in die Schule zu gehen und bekommt allein beim Gedanken daran starke Bauchschmerzen.
Eines Tages, als sie wieder einmal lieber zuhause bleibt, beginnt der Spiegel in ihrem Zimmer zu leuchten. Als Kokoro näher tritt und den Spiegel berührt, wird sie hineingezogen und findet sich umgehend auf dem Burghof des titelgebenden einsames Schlosses wieder.

Dort begegnet sie nicht nur einem seltsamen Mädchen, das eine Wolfsmaske trägt, sondern auch sechs weiteren Jugendlichen, die ebenfalls durch leuchtende Spiegel an diesen Ort gekommen sind.

Durch Ausführungen des maskierten Mädchens, das sich selbst Wolfskönigin nennt, erfahren alle, absichtlich hierher gebracht worden zu sein. In der Folge gelte es, einen Schlüssel zu einem versteckten Raum zu finden und die Möglichkeit zu erhalten, sich einen Wunsch zu erfüllen.

Soweit Beginn und Prämisse des neuen Animes von A-1 Pictures.
Der Film stammt aus dem Jahr 2022 und ist die Adaption eines Mangas, der wiederum auf einem Roman von 2017 beruht.
Mit einer Länge von 114 Minuten ist der Film nicht gerade kurz, wirkt aber konsequent packend, obwohl er sehr ruhig erzählt wird.

Lonely Castle in the Mirror weigert sich, ausschweifende Erklärungen zu geben. Über weite Strecken hat das Publikum kaum eine andere Wahl, als zu verfolgen, was diesseits und jenseits des Spiegels geschieht. Dabei ist es nicht so, dass die Figuren und mit ihnen die Zuschauer*innen einer detaillierten Fantasiewelt gegenüberstehen, wie es in einem Miyazaki-Abenteuer der Fall wäre.
Lonely Castle in the Mirror ist eine zutiefst minimalistisch angelegte Erzählung, die sich vor allem auf die Figurenzeichnung stützt und die Umwelt in mehrfacher Hinsicht weitgehend außen vor lässt.
Das Schloss selbst steht nämlich einerseits isoliert auf einem Felsen inmitten eines riesigen Meeres, andererseits scheint es selbst komplett unerheblich und bedeutungslos zu sein.

Jedem der Jugendlichen steht ein eigenes Zimmer zur Verfügung, doch sie dürfen dort nicht übernachten. Es gibt auch eine Küche, doch weder Lebensmittel noch fließendes Wasser. Das Schloss ist zwar eingerichtet, wirkt aber in keiner Weise persönlich oder bewohnt.

Immer wieder betreten Kokoro und die anderen Jugendlichen das Schloss und verlassen es wieder. Sie bilden Kleingruppen, sie spielen Video- und Gesellschaftsspiele und unterhalten sich, und, obwohl sie sich mit der Zeit einander öffnen und erste Freundschaften schließen, halten sie ihre tiefsten Gefühle doch von den anderen geheim.

Und so dauert es eine ganze Weile, bis sie herausfinden, worin sie sich ähneln und worin ihre Stärken als Gemeinschaft liegen.

Lonely Castle in the Mirror ist eine Coming-Of-Age-Erzählung, in der zwar ein Fantasy-Setting verwendet wird, in der dieses Setting aber ohne Belang ist. Vielmehr ist es die Schlussfolgerung, die aus dem Grund für die Auswahl der Jugendlichen heraus entsteht.
In Teilen erinnert der Film daher an The Breakfast Club (US 1985), wo fünf Jugendliche einen Samstag lang nachsitzen müssen und sich trotz ihrer Differenzen näherkommen.
Es geht um das Heranwachsen und die Konflikte, die damit einhergehen.
Es geht um Unsicherheiten und das vermeintliche sowohl als auch tatsächliche Fehlen von Haltepunkten, Personen und Institutionen, denen man sich anvertrauen kann.
Manche Konflikte entstehen aus einfachen Missverständnissen, die aus Angst oder aus Borniertheit nicht geklärt werden. Andere Konflikte entstehen aus Verlust und wieder andere gründen auf Verbrechen und es ist die Scham, die eine Lösung verhindert.

Immer jedoch hat die betreffende Person das Gefühl, allein auf der Welt zu sein.

Die Probleme schwelen unter der Oberfläche, brennen sich tief ein in das Bewusstsein eines Menschen und erlangen Macht dadurch, dass im stillen Nachdenken Interpretationen des Problems lähmende Ängste hervorbringen.

Lonely Castle in the Mirror ist kein Lehrfilm, der mit erhobenem Zeigefinger Moral predigt. Vielmehr präsentiert der Film die Komplexität des Lebens und lässt jede*n, der*die ihn sieht, daran erinnern, dass man einem Menschen erst einmal nur vor den Kopf schauen kann. 

So ist es das Ansinnen des Films, zu sensibilisieren.

Kokoro geht mehr als ein Jahr nicht in die Schule. Sie fühlt sich alleingelassen und ohnmächtig. Dabei stehen ihr zwei Menschen zur Seite, die lieber kaum sein könnten. Was immer Kokoro sagt oder macht, es stößt auf Liebe und Verständnis sowohl bei ihrer Vertrauenslehrerin als auch bei ihrer Mutter. Immer wieder ist die Mutter zu sehen, wie sie mit liebevollem Blick Kokoro gegenübersteht und ihr Mut zuspricht. Sie ist eine bemerkenswerte Figur, die im Film stets zur richtigen Zeit erscheint und die geheime Heldin des Films darstellt.

Während die Handlung stillzustehen scheint, weil weder ein Problem näher besprochen noch der Schlüssel auch nur ansatzweise gefunden werden kann, ist sie diesseits des Spiegels zur Stelle, um Kokoro daran zu erinnern, dass sie Halt geben kann. Mehr vermag sie nicht zu tun.

Wie im wahren Leben, kann sie ihrer Tochter nur vor den Kopf schauen, nicht aber hinein.
Selbst das Publikum scheitert daran.
Zwar werden Kokoros Ängste immer wieder in Rückblicken thematisiert, aber derart zusammenhanglos, dass es schwer ist, daraus ein allgemeingültiges Bild zu erstellen.
Solange Kokoro nicht begreift, dass ihr jemand zur Seite steht, können sowohl die Zuschauer*innen als auch ihre Mutter nichts anderes machen, als dazubleiben und zu warten.
Derweil geht mit der Suche nach dem Schlüssel eine Regel einher. Wer den Schlüssel findet, den Raum betritt und schließlich einen Wunsch äußert, wird ihn erfüllt bekommen. Allerdings werden daraufhin alle Jugendlichen die Erinnerung an das Schloss und aneinander vergessen.
Verzichten aber alle auf den Wunsch oder wird der Schlüssel gar nicht erst gefunden, kehren sie nach Hause zurück und behalten ihre Erinnerung.
Der Wunsch ist somit Fluch und Segen zugleich. Genauso wie auch eine Konfrontation mit dem Konflikt die Ängste lösen oder eben bestätigen kann.
Wie auch im echten Leben kommt ein Ende meistens plötzlich und mit Gewalt.

Und so zieht sich der zweite Akt des Films über weite Strecken der Laufzeit.

Der dritte Akt beginnt dann abrupt mit dem Zerbrechen der Spiegel und zeigt eine Kokoro, die auf einmal handeln muss.

An dieser Stelle verabschiedet sich der Film von seiner nüchternen Lethargie. Plötzlich geht alles sehr schnell. Eine nicht geahnte Dynamik bricht sich Bahn, die Musik schwillt an, Emotionen über Emotionen fluten jedes einzelne Bild.
Auf einmal werden alle Schicksale offengelegt, eines schlimmer als das andere und jedes gleichermaßen schwerwiegend.
Eindrücke bekannter Märchen der Brüder Grimm ziehen sich durch den ganzen Film und am Schluss muss Kokoro ein Märchen erkennen, um die gesamte Gruppe zu retten und damit einen Ausweg für alle zu finden.

Metaphorisch wird hier erklärt, dass es nie den einen Weg gibt, der alle Probleme löst, dass es keine ultimativ richtige Antwort auf eine Frage gibt, denn alle Wege haben Konsequenzen, und dort, wo ein Weg eine Lösung zu sein scheint, verhindert er gleichsam alle anderen Wege.


Und genau das ist die Conclusio, mit der der Film schließt; die Verbindung zwischen den vielen Wege und dem unterstützenden Warten der Mutter.

Lonely Castle in the Mirror ist kein Zeigefinger-Lehrfilm, der einen moralischen Kompass in die Höhe hält und plump vermittelt, dass Dinge kompliziert sind und derlei mehr.

Vielmehr wendet sich der Film, wie bereits erwähnt, sensibilisierend an sein Publikum. Die jungen Zuschauer*innen sollen wissen, dass sie nicht alleine sind, und die Erwachsenen können sich vielleicht daran erinnern, dass auch sie einmal jung waren.



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