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New Life (US 2023)

Zu Beginn von New Life (US 2023) wissen wir nichts. Wir sehen erst eine Frau, dann sehen wir eine andere Frau. Wir springen zurück zur ersten Frau und wieder vor zur zweiten. Dann werden uns Bruchstücke an Informationen hingeworfen. Werden wir daraus schlau?
Nicht wirklich. Uns wird eine Rückblende gezeigt. Diese gibt uns Hinweise, liefert aber auch nichts Konkretes. Und wieder Bruchstücke an Informationen.
Dies ist über einen beachtlichen Teil der Spieldauer das Konzept des Regiedebüts von John Rosman.

New Life erzählt von zwei Frauen, deren Leben durch ein Katz- und Mausspiel miteinander verbunden werden, und erinnert dabei einerseits an all die filmischen Momente, in denen ein*e Polist*in eine verdächtige und/oder schuldige Person jagt, und andererseits an die auch diesseits der Leinwand nur allzu vertrauten Virus-Narrative.
Mit einer Laufzeit von 85 Minuten ist New Life in vielerlei Hinsicht ein kleiner Film. Selten ausschweifend, konzentriert er sich voll und ganz auf das Wesentliche, um aus einer reinen Handlung eine runde Story zu machen. Dabei schafft Rosman aus wenig ganz viel, denn jede noch so kleine Rolle wird mit einer Hintergrundgeschichte und Motiven bedacht.
Da sind die beiden Hauptfiguren zu nennen, Jessica (Hayley Erin), die Verfolgte, und Elsa (Sonya Walger), die Ermittlerin, die beide aus unterschiedlichen Gründen aus ihren eigentlichen Bahnen gerissen werden, dann der Informatiker Vince (Jeb Berrier), dem die Bahn vorenthalten bleibt, und schließlich der Vorgesetzte Raymond (Tony Amendola), der auf die Bahnen anderer Menschen nichts gibt.
Sie alle sind aus unterschiedlichen Gründen in unaufhörliche Prozesse eingebunden und alle haben sie Verbindungen zu dem Filmtitel, der ein ums andere Mal eingelöst wird.
Es gibt noch eine Handvoll anderer Figuren, doch diese vier sind es, um die sich alles dreht und die die Handlung vorantreiben.

Der Filmwissenschaftler David Bordwell hat über die Rolle des Zuschauenden einmal geschrieben, dass sich dieser willentlich auf einen Film einlässt, dass er aktiv am Film teilnimmt und fokussiert nach Hinweisen und Mustern sucht, die ihm dabei helfen, die Rätsel eines Films zu entschlüsseln. Und so kann er viel dekodieren, während der Film vielfach direkt und indirekt von neuem Leben spricht, das seine Ursprünge wahlweise in Krankheiten, Verlust, Gewalt, neuen Technologien oder einem grundsätzlichen Neuanfang hat.

Nichts überwiegt in New Life. Es ist erstaunlich, wie ausbalanciert der Film daherkommt, wie er seine Handlung dicht erzählt, atmosphärisch auf Schockmomente hinarbeitet, dann wieder zur polizeilichen Ermittlungsarbeit wechselt und währenddessen die Figuren nie außer Acht lässt.
Gefühlt gibt es kaum Filme auf der Welt, in denen öfter telefoniert wurde als in New Life. Durch Handys und Videocalls können die Figuren jederzeit in einen Dialog zueinander treten, um sich selbst zu erforschen oder die Suche nach Jessica voranzutreiben.
Selbige sucht, teils unfreiwillig, die Nähe zu anderen Menschen, die alle ihre Päckchen zu tragen haben und sich dennoch für die Sorgen Jessicas Zeit nehmen.
In einer Einstellung trinkt der Informatiker Vince aus einem Becher mit der Aufschrift Big Brother. Auch hier verbirgt sich eine Art neues Leben, nicht, weil KI ein Bewusstsein haben könnte, sondern weil alles miteinander vernetzt ist, weil neue Technologien neue Wege ermöglichen, was unmittelbare Auswirkungen auf die Leben aller anderen hat.

New Life ist aber kein hochtechnologisierter Spionagethriller. Rosman inszeniert Technologie als dritte Instanz und zeigt zugleich auf, dass diese Instanz keine Fronten mehr kennt. Technologie wirkt sich entweder auf alle aus, oder auf niemanden. Und so werden zwar selbst die Gespräche von Elsa mitgehört, doch kann Jessica nicht gefunden werden. So spannend und vielleicht gar magisch die neuen Möglichkeiten auch erscheinen mögen, unterm Strich können sie nur reagieren, weshalb sie der Realität immer einen Schritt nachhängen.
Und so findet auch Like a Rolling Stone, der Song von Bob Dylan, nicht nur wiederholt Einsatz als musikalische Untermalung, sondern auch als starkes Instrument, eingesetzt vom Regisseur, um all den großen und kleinen Vorgängen im Film eine besondere Bedeutung zu verleihen.

Fazit: New Life ist eine in sich stimmige, intime Erzählung, die trotz ihrer Kürze unheimlich komplex daherkommt. Der Film lohnt sich für mehrmalige Sichtungen, weil er jeder Figur so viel Hintergrund gibt, dass wir uns mit jedem Mal auf jemand anderen konzentrieren können.
Es gibt ein paar Momente, die in Form und Ausprägung so nicht hätten sein müssen, aber sie schaden auch nicht, da sie dem Gesamtbild dennoch etwas hinzufügen.
New Life zeigt eindrücklich, dass gerade im Independent-Kino viel Kreativität zu finden ist, und dass das Medium auch dieser Tage weit mehr kann als Fortsetzung und Remake.


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